In Deutschland haben die Jobcenter im vergangenen Jahr 421 Fälle von "bandenmäßigem Leistungsmissbrauch" beim Bürgergeld registriert. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor, über die die "Rheinische Post" (externer Link, möglicherweise Bezahlschranke) berichtet. In 209 dieser Fälle wurden demnach Strafanzeigen erstellt.
Fälle von bandenmäßigem Missbrauch beim Bürgergeld nehmen zu
Die Missbrauchszahlen bei der Sozialleistung haben sich damit innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. 2023 wurden lediglich 229 Fälle erfasst. 52 davon führten damals zu einer Strafanzeige. Im aktuellen Jahr bis einschließlich Mai wurden bereits 195 solcher Fälle gezählt, die bisher zu 96 Strafanzeigen führten. Vor allem Jobcenter in städtischen Ballungsgebieten seien damit konfrontiert, hieß es. Laut der Bundesregierung ist zudem von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Die Jobcenter sprechen dann von bandenmäßigem Betrug, wenn Bürger aus anderen EU-Ländern ein Arbeitsverhältnis vortäuschen, um einen Ausschluss der Leistungen zu umgehen. Dabei treten oft organisierte Gruppen als Arbeitgeber oder Vermieter auf und kassieren Teile der Transfers ab. Datengrundlage für die Antwort sind die 300 als gemeinsame Einrichtungen organisierte Jobcenter, Angaben aus den kommunal organisierten Jobcentern (104) sind nicht eingeflossen.
Bundesregierung will "mafiösen Strukturen" im Sozialbereich abstellen
Laut der Antwort aus dem Ministerium kommt es zudem vergleichsweise selten vor, dass zu hohe Bürgergeld-Leistungen gezahlt werden. Im vergangenen Jahr seien 6.260 Fälle von Überzahlungen registriert worden. Als Gründe werden etwa genannt, dass Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher Einkünfte aus Renten, Versicherungsleistungen, Kapitalerträge oder Vermögen nicht ordnungsgemäß oder rechtzeitig angegeben hätten oder ein Doppelbezug vorlag. Häufiger habe es Überzahlungen wegen Einkommen aus Beschäftigungen gegeben, hier seien 69.561 Fälle erfasst worden.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte jüngst gezielten Betrug beim Bürgergeld angemahnt. Auch Bundeskanzler Merz hatte Mitte Juli im ARD-Sommerinterview beim Blick auf das Bürgergeld von mitunter organisierter Kriminalität gesprochen und zuletzt noch einmal betont: "Wir haben es hier zum Teil mit mafiösen Strukturen des sozialen Missbrauchs zu tun", so der CDU-Chef. Er kündigte dem den Kampf an: Perspektivisch soll das Bürgergeld zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende werden und dadurch Kosten "im zweistelligen Milliarden-Bereich" eingespart werden.
SPD und Grüne sehen kaum Einsparpotential beim Bürgergeld
SPD und Grüne haben nun aber vor zu hohen Erwartungen bei den Einsparmöglichkeiten gewarnt. "Die Union hat behauptet, wenn wir nur beim Bürgergeld sparen, haben wir so viel Geld, dass wir einen sorgenfreien Bundeshaushalt aufstellen können", sagte der SPD-Sozialexperte Bernd Rützel der "Augsburger Allgemeinen" (externer Link, möglicherweise Bezahlschranke). Die Realität der Menschen sei aber eine andere – das sei mittlerweile auch bei CDU und CSU angekommen.
Auch der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch prophezeit der Bundesregierung den "nächsten große Wortbruch". "Friedrich Merz und Carsten Linnemann wollten Milliarden im Bürgergeld einsparen", betonte Audretsch und fügte an: "Die Bundesregierung hat dazu noch nicht mal Berechnungen angestellt."
Rützel: Zügel anziehen funktioniert nicht
SPD-Sozialexperte Rützel warf der Union zudem vor, ein falsches Bild über Bürgergeldempfänger zu verbreiten. "Es wird oft so getan, als ob diese Menschen alle faul sind und nicht arbeiten wollen. Man müsste denen mal richtig die Ohren langziehen, und dann gehen sie wieder alle arbeiten", meinte Rützel. Die Lebenswirklichkeit der Bürgergeldempfänger sei aber komplexer. "Es funktioniert nicht, die Zügel anzuziehen und mit der Peitsche draufzuhauen." Derzeit beziehen rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld.
Mit Informationen von dpa
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