Den Haag, 1.12.25: Teilnehmer des Nationalen Bürgerrats für Klima während der Präsentation ihrer Empfehlungen.
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Den Haag, 1.12.25: Teilnehmer des Nationalen Bürgerrats für Klima während der Präsentation ihrer Empfehlungen.
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Bundestag setzt keine neuen Bürgerräte ein: "Fatales Signal"?

Bundestag setzt keine neuen Bürgerräte ein: "Fatales Signal"?

Für Bundestagspräsidentin Klöckner ist klar: Das Parlament ist "der größte Bürgerrat in Deutschland". Der Bundestag wird deshalb vorerst keine neuen, per Los besetzte Bürgerräte ins Leben rufen. Was für diese Entscheidung spricht – und was dagegen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Bürgerräte: Das sind per Losverfahren ausgewählte Runden, die ein strittiges politisches Thema diskutieren. Ihre Empfehlungen legen sie dem zuständigen politischen Gremium oder Auftraggeber vor – zum Beispiel einem Gemeinderat, einer Landesregierung oder einem Ministerium. Vor zwei Jahren gab es auch einen vom Bundestag eingesetzten Bürgerrat, zum Thema Ernährung. Er wird aber vorerst der letzte seiner Art bleiben: Die Stabsstelle Bürgerräte im Bundestag wurde jüngst aufgelöst.

Damit dürfte klar sein: Die schwarz-rote Regierungskoalition wird keine neuen bundesweiten Bürgerräte einsetzen. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sie dafür zwar noch ein Hintertürchen offen gelassen: "Ergänzend zur repräsentativen Demokratie setzen wir dialogische Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen Bundestages fort." Besonders bei CDU und CSU hält sich die Begeisterung für Bürgerräte aber in Grenzen.

Klöckner: Bundestag mit viel höherer Legitimation

Überraschend ist die Entscheidung der Bundestagsverwaltung insofern nicht. Die damals neu gewählte Parlamentspräsidentin Julia Klöckner (CDU) betonte bereits im Mai in einem "Welt"-Interview (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt): Die demokratische Legitimierung des Bundestages sei um ein Vielfaches größer als es jedes dialogische Beteiligungsformat sein könne. "Der größte Bürgerrat in Deutschland ist das demokratisch gewählte Parlament."

Aus der SPD gibt es aber auch die Forderung, Bürgerräte auf Bundesebene weiterzuführen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh sagte zuletzt dem RND (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt): "Ich erwarte, dass wir einen gemeinsamen Umsetzungsvorschlag verabschieden."

Grünen-Abgeordnete: Schwarz-Rot verspielt Vertrauen

Besonders von Linken und Grünen gibt es viel Kritik an Klöckners Entscheidung. Die Grünen-Abgeordnete Linda Heitmann erklärte: "Schwarz-Rot verabschiedet sich von der Bürgerbeteiligung – und das im Widerspruch zu ihrem eigenen Koalitionsvertrag." Wer Bürgerräte verspreche und dann die Mittel streiche, verspiele Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Der Verein "Mehr Demokratie" hält es für einen "fatalen Fehler", dass die Stabsstelle im Bundestag aufgelöst wurde. "Bürgerräte sind keine Idee der Ampelregierung, sondern ein demokratisches Instrument, das Menschen an politischen Entscheidungen beteiligt, die sich sonst ausgeschlossen fühlen. Ob beim Rentenpaket, der Wehrpflicht oder komplexen Zukunftsfragen: Die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger kann Konflikte entschärfen und Reformen beschleunigen."

Hype um Bürgerräte "etwas blauäugig"?

Der Politikwissenschaftler Norbert Kersting kann das Aus für Bürgerräte, die vom Bundestag eingesetzt werden, dagegen ein Stück weit nachvollziehen. "Bürgerräte haben zurzeit einen enormen Hype, der nicht unbedingt gerechtfertigt ist – und auch etwas blauäugig", sagte Kersting in einem "Spiegel"-Interview (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). "Wir müssen es schaffen, die Diskussion aus dem Gremium heraus in die breite Öffentlichkeit zu tragen."

Gelungen sei das in Irland – mit einem Gremium, das zu 60 Prozent aus zufällig ausgewählten Menschen und zu 40 Prozent aus Parlamentariern bestand. Diskutiert wurde etwa über die Ehe für alle. "Dort wurden die Teilnehmer selbst zu kleinen Stars in den Medien", erläuterte Kersting. "Am Ende gab es einen Volksentscheid, dessen Ergebnis in der breiten Bevölkerung akzeptiert wurde, weil es vorher eine öffentliche Diskussion gab." In Deutschland seien Bürgerräte dagegen "ein Instrument, das sich vielleicht erst von unten nach oben entwickeln muss".

Viele Bürgerrate auf kommunaler Ebene – auch in Bayern

Tatsächlich gab es in Deutschland in den vergangenen Jahren auf kommunaler Ebene stetig mehr Bürgerräte. In Bayern wurden laut dem Verein "Mehr Demokratie" den Angaben zufolge im aktuellen Jahr sieben Bürgerräte beendet, häufig zu städtebaulichen Fragen. Die Empfehlungen des bisher einzigen vom Bundestag eingesetzten Bürgerrats zum Thema Ernährung sind dagegen verpufft – etwa die Idee, für alle Kinder in Kitas und Schulen ein kostenloses Mittagessen anzubieten.

Während es erstmal keine weiteren vom Bundestag eingesetzten Bürgerräte geben wird, ist das in den Niederlanden anders. Dort übergab zuletzt ein 175-köpfiger nationaler Bürgerrat zum Thema Klima seine Empfehlungen an Regierung und Parlament. Zu den insgesamt 13 Empfehlungen – zum Beispiel weniger Lebensmittelverschwendung und mehr Anreize für Zugreisen – müssen sich die politisch Verantwortlichen innerhalb eines halben Jahres äußern.

Im Audio: Bürgerräte boomen – stärken sie die Demokratie?

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