Die Nacht vom 23. auf den 24. Februar ist bitter für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Nach langem Zittern verpasst die junge Partei bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde, also den Einzug ins Parlament. Laut dem vorläufigen Ergebnis liegt das BSW bei 4,972 Prozent der Zweitstimmen. Demnach fehlen bundesweit rund 13.500 Stimmen.
Danach kommt es in einigen Wahlbezirken zu Korrekturen, ein üblicher Vorgang, weil Übertragungs- und Zählfehler in der Hektik des Wahlabends vorkommen. Das Ergebnis lässt allerdings aufhorchen: Fast 7.500 Stimmen werden neu bewertet, davon gehen 4.277 an das BSW. Im amtlichen Endergebnis, das der Wahlausschuss im Bundestag am 14. März feststellt, kommt das BSW auf 4,981 Prozent. Aus sehr knapp wird noch knapper – aus BSW-Sicht noch immer mit vielen Fragezeichen.
Hauptvorwurf: Verwechslung mit dem "Bündnis Deutschland"
"Wir unterstellen bezüglich der Zählfehler keinen Vorsatz", sagt BSW-Co-Chefin Amira Mohamed Ali auf BR24-Anfrage. "Aber wo Menschen arbeiten, passieren Fehler." Leider wisse man nicht vollständig, in wie vielen Wahlbezirken zwischen vorläufigem und endgültigem Ergebnis neu ausgezählt oder anderweitig Korrekturen vorgenommen wurden – und warum.
Das BSW nennt in seinem Wahleinspruch von Ende April, über den bisher nicht entschieden wurde, mehrere mögliche Fehlerquellen. So seien BSW-Stimmen mit Stimmen für andere Parteien, vor allem für das Bündnis Deutschland, vertauscht worden, was seitens der Wahlleitungen bestätigt worden sei. Noch immer gebe es Wahlbezirke, in denen offensichtliche Zählfehler nicht korrigiert worden seien. Wenn zum Beispiel die Kleinstpartei Bündnis Deutschland Stimmen habe, aber das BSW keine oder weniger – "obwohl das statistisch extrem unwahrscheinlich ist, vor allem wenn es in den umliegenden Wahlbezirken genau andersherum ist".
"Alle Zweitstimmen nochmal auszählen"
Zudem gibt es laut dem BSW Hinweise, dass Stimmzettel, bei denen keine Erststimme und nur eine BSW-Zweitstimme abgegeben wurden, manchmal fälschlicherweise für ungültig erklärt wurden. Stand jetzt ist das aber eine Behauptung. "Wir fordern, bundesweit alle Zweitstimmen nochmal auszuzählen", sagt Mohamed Ali. "Uns fehlen 9.529 Stimmen – bei 95.000 Wahlbezirken ist das nur eine Stimme in jedem zehnten Wahlbezirk."
Der BSW-Forderung, nochmal alle Stimmen auszuzählen, schließen sich zwei renommierte Politikwissenschaftler an. In einem FAZ-Gastbeitrag (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) kommen die Professoren Uwe Wagschal und Eckhard Jesse zu dem Schluss: "Eine bundesweite Neuauszählung ist angesichts des knappen Ausgangs und vieler Ungereimtheiten nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend geboten."
Bundeswahlleiterin: BSW-Eingaben "angemessen berücksichtigt"
Die Pressestelle der Bundeswahlleiterin betont dagegen auf BR24-Anfrage: Zwischen vorläufigem und endgültigem Ergebnis (externer Link) seien die "Eingaben" des BSW angemessen berücksichtigt worden. Zuvor hätten die Kreiswahlleitungen und Kreiswahlausschüsse die Wahlniederschriften gründlich überprüft. Angesichts des Aufwands kämen Nachprüfungen nur im Einzelfall aufgrund konkreter Anhaltspunkte in Betracht. Eine generelle Verpflichtung zur Nachprüfung bestehe nicht.
In Bayern kam es laut der Landeswahlleitung nach der Bundestagswahl in 32 Wahlbezirken zu Nachzählungen – mit einem Zuwachs von 854 Zweitstimmen für das BSW im Freistaat. "Ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung der endgültigen Wahlergebnisse können die Wahlausschüsse sie nicht mehr ändern", betont eine Sprecherin der Landeswahlleitung auf BR24-Anfrage. "Von diesem Zeitpunkt ab ist das Ergebnis der Bundestagswahl materiell existent und eine Korrektur nur im Wahlprüfungsverfahren möglich."
Wahlausschuss: Behandeln BSW-Beschwerde "priorisiert"
Dieses Verfahren läuft: Aktuell befasst sich der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags mit den Vorwürfen. Dessen Vorsitzender ist der SPD-Abgeordnete Macit Karaahmetoğlu. Er teilt auf BR24-Anfrage mit: Insgesamt seien zur Bundestagswahl 1.031 Einsprüche eingegangen. Der auf eine Neuauszählung gerichtete Einspruch des BSW werde vom Ausschuss "priorisiert behandelt".
Anfang Juli seien Stellungnahmen der Bundeswahlleiterin und aller Landeswahlleitungen eingegangen, sagt Karaahmetoğlu. Ende August habe den Ausschuss die "umfangreiche" Erwiderung des BSW erreicht. Diese werde derzeit ausgewertet. Man prüfe jetzt, ob es weitere Schritte brauche. Danach werde der Ausschuss dem Plenum einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten. Einen Zeitplan dafür nennt Karaahmetoğlu nicht.
Wahlprüfungsverfahren: Ablauf und Kritik
Das Grundgesetz schreibt keine genaue Frist für die Bearbeitung von Wahlbeschwerden vor. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Wahlprüfungsausschuss zwar ein "Zügigkeitsgebot" auferlegt, das aber nicht konkretisiert. Erst nach einer (ablehnenden) Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses käme das Verfassungsgericht ins Spiel. Eilanträge des BSW wies das Gericht im Frühjahr zurück.
"Wer die Nachzählung trotz der vorliegenden Fakten verweigert, ist in meinen Augen kein Demokrat", sagt BSW-Chefin Mohamed Ali. "Ich hoffe, dass im Wahlprüfungsausschuss des Bundestages genug Menschen sitzen, denen die Demokratie wichtiger ist als die Vorteile, die ihre jeweilige Partei dadurch hat, dass das BSW aus dem Bundestag rausgehalten wird." Was sie meint: Käme die Partei durch eine bundesweite Nachzählung doch über die Fünf-Prozent-Hürde, wäre die schwarz-rote Bundesregierung aus Union und SPD plötzlich ohne Mehrheit.
CDU-Abgeordneter Plum: Verfahren "zu schwerfällig"
An der aktuellen Rechtslage gibt es schon lange Kritik. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Plum findet: Das derzeitige Wahlprüfungsverfahren ist "zu schwerfällig und zu lang". Es sei nicht gut, wenn Abgeordnete "Richter in eigener Sache" seien, betont Plum auf BR24-Anfrage. Stattdessen gehöre die komplette Wahlprüfung von Anfang an ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Auf dem Spiel stehe nicht weniger als die Gültigkeit einer Bundestagswahl.
Zur Wahlprüfungsbeschwerde des BSW will sich Plum, vor seiner Abgeordnetentätigkeit Richter, angesichts des laufenden Verfahrens nicht im Detail äußern. Was los wäre, wenn das BSW nach einer Neuauszählung doch im Parlament wäre? "Dann hätten wir im Bundestag gänzlich veränderte Mehrheitsverhältnisse." Klar sei aber: "Wir werden auch in dieser Legislatur erleben, dass die Wahlprüfung zeitnah abgeschlossen wird. Je zügiger, desto besser."
Zum Audio: Das offizielle Endergebnis der Bundestagswahl 2025
(Symbolbild) Das endgültige Wahlergebnis der Bundestagswahl steht fest.
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