"Chicago findet bald heraus, warum es KRIEGSministerium heißt", darunter ein Bild von Trump in Militäruniform samt Schriftzug "Chipocalypse Now", eine Anspielung auf den Kriegsfilm "Apocalypse Now": Dieser Social-Media-Post des US-Präsidenten hatte in den Augen vieler US-Amerikaner eine neue Qualität. Trump, der das Verteidigungsministerium in "Kriegsministerium" umbenennen lassen will, drohte der drittgrößten Stadt der USA offenbar mit Krieg.
Auch wenn Trump mittlerweile etwas zurückgerudert ist, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. Chicagos Bürgermeister Brandon Johnson nannte Trumps Beitrag "unwürdig", JB Pritzker, Gouverneur des Bundesstaats Illinois, in dem Chicago liegt, bezeichnete Trump als "Möchtegern-Diktator".
"Anklänge faschistischen Vorgehens"
"Die Bezeichnung Möchtegern-Diktator ist eigentlich zu schwach", findet Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität zu Köln. "Trump ist in bestimmten Bereichen jemand, der wie ein Diktator handelt, der sich nicht an Recht und Gesetz hält, der das Parlament missachtet, der Gerichte missachtet – das tut er jeden Tag", erklärt Jäger im BR24-Interview. Für den USA-Experten hat Trumps Vorgehen "Anklänge faschistischen Vorgehens, sowohl visuell, als auch wenn es darum geht, Meinungen zu unterdrücken und Einfluss zu nehmen". Als Beispiel nennt Jäger den Druck auf Universitäten, Drohungen gegenüber Medien sowie Auflösung von – oder Neubesetzungen bei – Behörden.
Handlungen und Rhetorik bei der Entsendung des Militärs verfolgen laut Jäger eine klare Strategie: "Trump behauptet, es ginge ihm darum, die Kriminalität zu senken – und es ist erst mal nicht überraschend, dass er auf diesem Thema herumreitet." Denn Trump habe in allen anderen Politikbereichen sehr schlechte Zustimmungswerte. Nur beim Thema Kriminalität sehe es etwas besser aus. "Deswegen nimmt er das als Grund dafür, diese Sicherheitskräfte einzusetzen."
Thema Kriminalität und Attacken gegen Demokraten
Trump hatte das Militär zuerst nach Los Angeles geschickt, anschließend in die Hauptstadt Washington D.C. und nun ist Chicago in den Fokus gerückt. Die Städte haben eins gemeinsam: Sie werden demokratisch regiert. "Die Zielrichtung ist völlig klar: Es geht gegen Demokraten, es ist ein parteiliches Instrument", so Jäger.
Stärke beim Thema Kriminalität und Angriff auf die Demokraten – das sind demnach die Hauptgründe für Trumps Vorgehen. Thomas Jäger nennt aber noch ein drittes: Ablenkung. "Die spielt immer eine Rolle bei Trump", so Jäger, "denn er hat immer zehn Bälle in der Luft und andere werfen ihm auch Bälle zu, die er gar nicht haben will – und die er versucht, irgendwie zu verstecken."
Als Beispiel nennt der Politikwissenschaftler die Epstein-Affäre. Trump hatte im Wahlkampf die Offenlegung aller Dokumente zum Fall des verstorbenen Sexualstraftäters angekündigt. Im Amt machte er aber einen Rückzieher – laut Kritikern, weil das Material auch Trump belasten könnte; Epstein und Trump waren einst befreundet. Trump versuche laut Jäger nun, immer neue Themen zu schaffen, den Informationsraum zu beherrschen – und sein "Chipocalypse Now"-Post sowie die Entsendung des Militärs in die Städte seien dafür Beispiele.
USA-Experte: Kongress und Oberster Gerichtshof "Ausfälle"
Dieses Vorgehen ist bei vielen Bürgern umstritten und steht rechtlich auf wackeligen Füßen. "Das amerikanische Militär darf eigentlich gar nicht im Innern eingesetzt werden", erklärt Jäger. "Die Nationalgarde wird manchmal als Teil der Streitkräfte eingesetzt, wenn es im Einvernehmen mit den Gouverneuren eine Lage gibt, in der man Unterstützung braucht." Was man jetzt sehe, sei das Gegenteil.
Hoffnungen vieler US-Amerikaner, dass der Oberste Gerichtshof Trump im Zweifel stoppen würde, wenn es um die Grundfesten der Demokratie geht, wurden bisher enttäuscht. Im Juli hatte ein Gericht in Los Angeles verboten, willkürlich Personen etwa aufgrund ihres Aussehens festzuhalten. Der Supreme Court hob dieses Urteil am Montag mit seiner konservativen Mehrheit auf – eine Begründung dafür gab es bisher nicht.
"Ebenso wie der Kongress ist der Supreme Court ein Ausfall, wenn man denkt, dass Recht und Gesetz gewahrt bleiben sollen", so Jäger. Man habe das schon ahnen können, sagt Jäger und verweist auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vor Trumps erneutem Amtsantritt, in dem Präsidenten weitgehende Immunität eingeräumt wurde. Jäger bilanziert deswegen: "Wenn man jemanden zum Präsidenten wählt, der sagt, ich kann jemanden auf der Fifth Avenue erschießen, und trotzdem steht ihr noch hinter mir, und sagt ihm dann: Für alle Amtshandlungen gibt es Immunität – da weiß man, was man bekommt. Und das haben die Amerikaner jetzt."
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