Bei der Mobilisierung gegen die von der SPD vorgeschlagene Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht waren von Beginn an auch Akteure aus der Lebensrechtsbewegung dabei: In der Regel konservative bis fundamentalistische Christen, die gegen Abtreibung kämpfen, zum Teil mit Unterstützung aus den USA. Dabei zeigen sich zunehmend Verbindungen zwischen rechten bis rechtsextremen Akteuren und religiös motivierten Abtreibungsgegnern – auch in Bayern, wo wichtige Organisationen der Bewegung sitzen.
Rechtsextreme auf Demos gegen Abtreibung
Christinnen und Christen, die sich aus religiöser Überzeugung gegen Abtreibung engagieren, sind nicht pauschal rechts oder gar rechtsextrem. Das zu betonen, ist Andrea Büschmann von der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus wichtig. Doch auf den Veranstaltungen der Lebensrechtsbewegung sind regelmäßig Rechtsextreme zu sehen – ohne dass diese ausgeschlossen würden, so Büschmann. Auf dem Münchner "Marsch für das Leben" hat die Fachinformationsstelle etwa Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung und mehrere AfD-Politiker beobachtet [externer Link].
Die Rolle der Abtreibungsgegner im Fall Brosius-Gersdorf
Auch bei der Mobilisierung gegen Frauke Brosius-Gersdorf in den sozialen Medien hätten Lebensrechtsbewegung und extrem rechte Akteure an einem Strang gezogen, meint Andrea Büschmann. So warnt die Jugendorganisation der "Christdemokraten für das Leben" bereits am 1. Juli – also knapp zwei Wochen vor der eigentlichen Wahl im Bundestag - auf Instagram vor einer „Pro-Choice-Aktivistin“, also einer Aktivistin, die sich für den Zugang für Abtreibungen einsetzt, am Bundesverfassungsgericht. Auf Facebook verlinkt "Christdemokraten für das Leben" auch Beiträge rechtspopulistischer Alternativmedien.
Bayerische Lebensrecht-Organisation wichtiger Akteur
Am 3. Juli steigt der Augsburger Verein "Arbeitsgemeinschaft Lebensrecht für Alle" (ALfA) in die Mobilisierung gegen Brosius-Gersdorf ein, die er als "Abtreibungsaktivistin" bezeichnet. ALfA ist eine der einflussreichsten Organisationen der Lebensrechtsbewegung in Deutschland. In den Instagramposts des Vereins werden Brosius-Gersdorfs Standpunkte zum Teil verkürzt wiedergegeben und aus dem Zusammenhang gerissen. So macht sich die Jugendorganisation von ALfA auf Instagram etwa die Unterstellung der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch zu eigen, Brosius-Gersdorf würde sich gegen die Menschenwürde von Ungeborenen aussprechen und damit für "de facto Abtreibung bis zur Geburt."
Diese Darstellung hat Brosius-Gersdorf mehrmals zurückgewiesen. Sie habe lediglich ein verfassungsrechtliches Dilemma dargestellt, in der es eine Möglichkeit sei, dass die Menschenwürde erst ab Geburt gelte. Auf Nachfrage von BR24 erläutert ALfA, man habe auf die Konsequenzen hingewiesen, die Brosius-Gersdorfs Aussagen zur Menschenwürde haben könnten. Man unterstelle ihr aber nicht, sich für Abtreibungen bis zur Geburt einzusetzen.
Knapp 40.000 Mails an Abgeordnete
Zwei Tage vor der geplanten Abstimmung im Bundestag, am 9. Juli, startet die Münchner Organisation "1000plus ProFemina" eine Mailaktion an Abgeordnete. Die Organisation möchte durch Beratung ungewollt Schwangere vor Abtreibungen "bewahren". Nach den Angaben von ProFemina beteiligten sich über 37.000 Menschen an der Aktion. ALfA organisiert zudem am Tag der Abstimmung eine Demonstration vor dem Reichstag.
"Konzertierte Kampagne"
"Die Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf hat innerhalb kürzester Zeit sehr konzertiert stattgefunden", meint die Politikwissenschaftlerin Juliane Lang im Gespräch mit BR24. Grundlage dafür seien stabile Netzwerke zwischen der Lebensrechtsbewegung, konservativen, rechten und rechtsextremen Akteuren. Diese hätten in Themen wie Abtreibung, Homosexualität oder Gender ein geteiltes Feindbild – und damit einen gemeinsamen Nenner. Soziale Medien funktionierten dabei als einflussreiche Bühne, gemeinsame Themen zu setzen.
Geld und Know-How aus den USA
Unterstützung kommt dabei aus den USA, das haben verschiedene Untersuchungen gezeigt. Zum einen fließt viel Geld [externer Link] aus den USA an Organisationen der Lebensrechtsbewegung. Zum anderen sind internationale Treffen dokumentiert [externer Link]. Hier tauschten sich europäische und US-amerikanische Aktivistinnen und Aktivisten darüber aus, welche Themen sie mit welchen Strategien verfolgen, so Politikwissenschaftlerin Juliane Lang. Andrea Büschmann von der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus weist auf die Kampagnenerfahrung der US-amerikanischen Lebensrechtsbewegung hin: "Wissen, das aus den USA transferiert wurde, kam in der Mobilisierung gegen Brosius-Gersdorf zur Anwendung."
Der Augsburger Lebensrecht-Verein AlfA schreibt auf seiner Webseite, dass "alle demokratischen Parteien" Ansprechpartner für die Organisation seien. Auf die Nachfrage von BR24, ob darunter auch die AfD falle, äußert sich die Organisation nicht konkret: "Die ALfA ist überparteilich und legt darauf großen Wert. (...) Unser Grundgesetz mit seiner klaren Positionierung für die Menschenwürde und die Menschenrechte aller Menschen ist das Fundament unseres Handelns. Parteien, die sich diesem Fundament ohne Abstriche verpflichtet fühlen, sind für uns Ansprechpartner, von allen anderen distanzieren wir uns."
Zweifel und Emotionalisierung wirken
Inwieweit die Aktionen der Lebensrechtsbewegung ausschlaggebend waren für die gescheiterte Richterwahl, ist schwer zu sagen. Mehrere CSU-Abgeordnete, so etwa der Bamberger Abgeordnete Thomas Silberhorn, erklären gegenüber BR24, dass die Mailkampagne nicht entscheidend für sie war. Die Politikwissenschaftlerin Juliane Lang weist auf etwas anderes hin. Die aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate von Brosius-Gersdorf in den Sozialen Medien hätten die Debatte emotionalisiert und Zweifel gesät. "Die Verunsicherung, die solche Kampagnen und Mailaktionen schaffen, da stehen auch Bundestagsabgeordnete nicht drüber."
Transparenzhinweis: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus treten grundsätzlich nicht mit ihrem wirklichen Namen, sondern unter einem Pseudonym an die Öffentlichkeit.
Dieser Artikel ist erstmals am 19.7.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!