Schild vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
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Symbolbild: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
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Die Demokratie und ihre Hüter: Kampfzone Verfassungsgericht

Die Demokratie und ihre Hüter: Kampfzone Verfassungsgericht

Selten wurde so verbissen um die Wahl einer neuen Verfassungsrichterin gerungen wie im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf. Zeit, daran zu erinnern, welche Funktion das Bundesverfassungsgericht in unserer Republik hat.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Dann geh ich nach Karlsruhe"! Fünf Worte, die einen guten Teil dessen erklären, was die Bundesrepublik Deutschland ausmacht: Wir leben in einem Verfassungsstaat, in dem jeder Bürger und jede Bürgerin die Möglichkeit hat, verbriefte Rechte einzufordern: in Karlsruhe, vor dem Bundesverfassungsgericht.

Seit 1951. "Das war etwas Neues, ein solches Gericht mit der Machtfülle, auch Gesetze des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu kassieren. Das gab es in Europa nicht", urteilt Ex-Justizminister Marco Buschmann (FDP). Das "BVerfG", wie die sperrige Abkürzung lautet, ist zugleich Oberstes Gericht und eines von fünf Verfassungsorganen - neben Bundestag, -rat, -regierung und -präsident und diesen zugleich in einem Punkt übergeordnet: weil es deren Gesetze nach Maßgabe des Grundgesetzes prüfen und dann den Daumen heben oder senken kann. Zwar, wie alle Gerichte, nicht aus eigenem Antrieb, dafür mit dem letzten Wort.

Von BKA bis Soli: Was das BVerfG beschäftigt

Knapp 5.000 Verfahren behandeln die Senate und Kammern des Bundesverfassungsgerichts. Pro Jahr. Schlaglichter der letzten Monate: Der Soli - verfassungsgemäß. Eine Steuer auf Einwegverpackungen - auch. Fußballvereine dürfen an den Polizeikosten beteiligt werden.

Heimliche Überwachung im Umfeld Verdächtiger durch das BKA hingegen: grundgesetzwidrig. Ebenso Teile der Wahlrechtsreform.

"Hüter der Verfassung"

Die herausgehobene Stellung des Gerichts hat einen guten Grund. Schon in der Weimarer Republik gab es ein Gericht, das sich als "Hüter der Verfassung" sah: den 1922 eingerichteten "Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik". Leider ein zahnloser Tiger.

Anders als das BVerfG durfte der Staatsgerichtshof Gesetze, die der Reichsverfassung widersprachen, nicht zurückweisen. 1927 wurde das Gericht von einer einfachen Parlamentsmehrheit aufgelöst; seine Kompetenzen wurden dem eher republikskeptischen Reichsgericht in Leipzig zugeschlagen, das sich 1933 nach Entlassung aller jüdischen und sozialdemokratischen Richter ziemlich geräuschlos den neuen nationalsozialistischen Machthabern fügte. Der Rechts- war zum Unrechtsstaat geworden.

Machtfülle auf Zeit

Das sollte sich nicht wiederholen - weshalb die Väter des Grundgesetzes das BVerfG in der Verfassung verankerten.

"Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes." GG Art 93.1

Und zwar so: Das Gericht gliedert sich in zwei Senate mit je acht Richtern und Richterinnen, die zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat bestimmt werden - stets mit 2/3-Mehrheit. Denn die Rechtshüter sollen getragen von breitem Konsens ins Amt kommen, nicht durch "Augenblicksmehrheiten".

Anders als bei den auf Lebenszeit gewählten Richtern des US-Supreme Courts ist ihre Amtszeit auf 12 Jahre begrenzt. Sie können weder wiedergewählt noch abberufen werden. Andreas Voßkuhle, von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, beschrieb diese "Machtfülle auf Zeit" so: "In dem Augenblick, in dem Sie gewählt sind, und Sie wissen, Sie machen das zwölf Jahre, Sie können nicht wiedergewählt werden, durchfließt Sie so ein Gefühl von großer Freiheit und Unabhängigkeit. Und das Gefühl bleibt bestehen bis zum Ende dieser zwölf Jahre."

Lücken im Rechtssystem - mit heißer Nadel gestopft

Abschaffen lässt sich "Karlsruhe" also nicht. Doch weil das Bundesverfassungsgericht erst 1951, also nach Abfassung des Grundgesetzes die Arbeit aufnahm, waren viele organisationsrechtliche Grundlagen - etwa die Wahl mit 2/3-Mehrheit und die Amtszeitbegrenzung - bisher in einem Bundesgesetz festgelegt, das mit einfacher Mehrheit gekippt hätte werden können.

Seit Dezember 2024 sind nun auch diese im Grundgesetz verankert. Zudem gibt es nun einen Krisenmechanismus. Um eine Blockade der Richterwahl zu verhindern, kann das Wahlrecht an die andere Parlamentskammer wechseln. Dies ist noch nie passiert, wird nun aber bei der Wahl von Brosius-Gersdorf diskutiert.

Im Video: Verfassung und Verfassungsgericht

ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam
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ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam

Die Sache mit den zwei Senaten

Festgezurrt ist nun auch die Aufteilung des BVerfG in zwei Senate: Der Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis hatte 2019 in einem Gedankenspiel darauf hingewiesen, dass eine demokratiefeindliche Parlamentsmehrheit einen destruktiven dritten Senat mit eigenen Wunschkandidaten installieren könnte.

Schon die bisherige Zweiteilung ist nur in der Theorie widerspruchsfrei: Der Erste Senat behandelt vor allem mögliche Grundrechtsverstöße, im Zweiten Senat geht es um Staatsorganisation. 2019 hatte "der Erste" das Klimagesetz der Regierung als unterfinanziert verworfen; 2022 untersagte "der Zweite" unter Verweis auf die Schuldenbremse Kredite für den Klimafonds.

Die Aufteilung lässt auch bezweifeln, dass der heftige Widerstand gegen Frauke Brosius-Gersdorf primär in ihrer - angeblichen - Haltung zum Abtreibungsrecht begründet ist - mit dem sie als Kandidatin für den Zweiten Senat wohl nicht befasst wäre. In ihre Zuständigkeit fiele aber ein mögliches Verbotsverfahren der AfD - und die hatte Brosius-Gersdorf schon vor einem Jahr als "gefährliche Partei" bezeichnet.

Im Video: Ist das BverfG durch das Wahl-Hickhack beschädigt?

ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz zu Richterwahl
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ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz zu Richterwahl

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