Syriens Übergangspräsident al-Sharaa will ein neues, friedliches Syrien. Ende 2024 stürzte seine Bewegung den langjährigen Machthaber Assad. Sharaa führt die Hajat Tahrir al-Sham – kurz HTS –, eine einstige al-Qaida-Abspaltung, die sich heute gemäßigt gibt. Die Organisation zog besonders während des Syrienkriegs zahlreiche junge Männer aus der ganzen Welt an – ähnlich wie die Terrororganisation IS.
Weiterhin befinden sich ausländische Dschihadisten in den Reihen der HTS – auch Deutsche. Für den Islamwissenschaftler Guido Steinberg ein ernstes Risiko: "Wir müssen insgesamt davon ausgehen, dass – auch wenn die Organisation HTS sich seit 2017 gewandelt hat, von einer internationalen zu einer stark auf Syrien orientierten Organisation – die Kämpfer sich nicht so sehr gewandelt haben." Die HTS vereint gemäßigte und radikale Gruppen – einige weiter in Nähe zu Al-Qaida, sagt Islamwissenschaftler Steinberg.
Tausende ausländische Kämpfer in Syrien
Die HTS hat inzwischen ihre Auflösung angekündigt, wie auch andere Gruppen in ihrem Umfeld. Zudem ist Präsident al-Sharaa auf dem internationalen Parkett zunehmend ein gern gesehener Gast – zuletzt etwa in Frankreich (externer Link).
Das ändert laut Steinberg aber nichts daran, dass davon auszugehen ist, dass es sich bei den Ausländern in der Gruppe weiterhin um Dschihadisten handelt. Der Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik schätzt die Zahl der ausländischen Kämpfer in Syrien auf einige Tausend – sie sind Uiguren, stammen aus der Türkei oder dem Nordkaukasus. Neben anderen Europäern sind Steinberg zufolge auch mehrere Dutzend Deutsche darunter – auch aus Bayern.
Ausländer verbreiten Hetze und Propaganda im Netz
BR24 konnte den Fall eines 49-jährigen Deutsch-Marokkaners recherchieren, der sich laut Sicherheitsbehörden seit 2013 in Syrien befinden soll. Im Netz hetzt er nach BR24-Informationen gegen Minderheiten wie die Drusen. Und er soll über soziale Netzwerke Islamisten, auch aus Bayern, nach Syrien gelockt haben.
Dem BR sind auch weitere Accounts von Ausländern aus dem HTS-Umfeld bekannt, die ebenfalls dschihadistische Propaganda in sozialen Netzwerken verbreiteten und sogar Schlüsselrollen in der Propaganda übernahmen.
Zukunft ausländischer Kämpfer in Syrien ungewiss
Der große Teil der ausländischen Kämpfer sei nach Syrien gekommen, um einen islamischen Staat zu errichten, sagt der international anerkannte Terrorexperte Hans-Jakob Schindler. Was mit den ausländischen Kämpfern geschieht, ist derzeit völlig offen.
Das Auswärtige Amt teilt auf BR24-Anfrage mit: "Die Anwesenheit ausländischer Kämpfer in Syrien ist ein Risiko für die langfristige Stabilität des Landes. Deutschland steht in dieser Angelegenheit weiterhin mit der syrischen Regierung und den USA in Kontakt."
Wie vertrauenswürdig ist die Übergangsregierung in Syrien?
Parallel zur sicherheitspolitischen Debatte stellt sich auch die juristische Frage: Das Bundesjustizministerium (BMJV) antwortet auf Anfrage, dass Unterstützungshandlungen für die HTS "nicht mehr umfasst sind", wenn die Tat nach dem 8. Dezember 2024 begangen worden ist, also mit der Machtübernahme von al-Sharaa in Syrien. Seit diesem Datum können solche Taten laut Ministerium nicht mehr allgemein verfolgt werden, sondern nur noch, wenn das BMJV im Einzelfall eine Ermächtigung erteilt.
Auch sind die EU und die USA dabei, die Sanktionen gegen Syrien zu beenden. Deutschland plant außerdem, islamistische Gefährder dorthin abzuschieben. Hans-Jakob Schindler von der internationalen Forschungsorganisation Counter Extremism Projekt mahnt zur Vorsicht und warnt, man solle erst beobachten, ob Übergangspräsident al-Sharaa seinen moderaten Kurs tatsächlich umsetzt. "Das ist ein sehr großer Vertrauensvorschuss an eine Person in Syrien – Herr al-Sharaa, der ankündigt, etwas zu tun, was aber nicht mit der seit Jahren geäußerten, immer wiederholten ideologischen Ausrichtung seiner eigenen Leute übereinstimmt."
Wird Syrien die ausländischen Kämpfer ausweisen?
Ein Problem sind die ausländischen Kämpfer, wie auch jüngst das "Wall Street Journal" (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) berichtete. Die USA fordern, ausländische Kämpfer aus Syrien auszuweisen. Aber wie steht die syrische Regierung zu der Aufforderung der USA? Eine Anfrage des BR an das syrische Informationsministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Laut Steinberg ist eine Abschiebung kaum realistisch. Die HTS könne es sich aus seiner Sicht kaum leisten, mehrere Tausend Kämpfer des Landes zu verweisen. "Das würde möglicherweise bedeuten, dass sie noch mehr Probleme hat, die Situation im Land zu kontrollieren. Das wird sie nicht tun", sagt Steinberg im BR24-Interview.
Großes Rekrutierungspotential für den IS in Syrien und Irak
Laut Guido Steinberg könnten sich Teile der HTS vom gemäßigten Kurs der Regierung abwenden – und zum Beispiel mit der Terrororganisation IS zusammenarbeiten. Zwar gilt der IS als militärisch geschwächt, doch Tausende seiner Kämpfer sitzen weiter im Nordosten Syriens in kurdischer Lagerhaft – darunter auch Deutsche.
Diese Lager gelten inzwischen als Brutstätten des Terrors. Nachdem die USA angekündigt haben, ihre US-Truppen abzuziehen, droht die Lage weiter zu eskalieren, warnt Steinberg. "Diese 9.000 IS-Männer in syrisch-kurdischer Haft sind der größte Rekrutierungspool, auf den der IS potenziell zurückgreifen kann", warnt Steinberg. Er rechnet mit Ausbrüchen aus der Lagerhaft, wenn sich die Amerikaner aus Nordsyrien zurückziehen. Das würde Steinberg zufolge den IS enorm stärken und eine große Gefahr für Syrien und den Irak bedeuten.
Die ganze Recherche hören Sie in der Sendung "Funkstreifzug" im Radioprogramm von BR24 oder als Podcast in der ARD Audiothek.
Dieser Artikel ist erstmals am 28. Mai 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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