Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug "Bundesverfassungsgericht", aufgenommen vor dem Gericht in Karlsruhe.
Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug "Bundesverfassungsgericht", aufgenommen vor dem Gericht in Karlsruhe.
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Nach der verkorksten Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin läuft nun auch eine Kampagne gegen die Ann-Katrin Kaufhold.
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Nach der verkorksten Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin läuft nun auch eine Kampagne gegen die Ann-Katrin Kaufhold.

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"Diffamierend": Erneut Verfassungsgerichts-Kandidatin im Fokus

"Diffamierend": Erneut Verfassungsgerichts-Kandidatin im Fokus

Die Wahl der neuen Bundesverfassungsrichter scheiterte wegen einer Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf – nun läuft gegen die zweite Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold laut Experten die nächste: Wieder von Rechtsaußen, wieder ist eine Frau das Ziel.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Das Wahlprozedere für Bundesverfassungsrichter ist üblicherweise ein nüchternes Thema. Der Wahlausschuss tritt zusammen, diskutiert, einigt sich auf geeignete Kandidaten – und der Bundestag wählt sie nach kurzer Debatte. In diesem Jahr aber ist die Wahl zum politischen Brennpunkt geworden.

Rechtsaußen-Akteure starteten eine Kampagne gegen die Potsdamer Professorin Frauke Brosius-Gersdorf, Abgeordnete der Unionsfraktion folgten der Argumentation. Die Wahl wurde abgeblasen, jetzt ist Sommerpause im politischen Berlin – die Kampagne hatte vorerst Erfolg.

Vorwürfe seien "verleumderisch"

Nun steht auch die zweite Kandidatin, Ann-Katrin Kaufhold, unter Beschuss - und auch diesmal trifft es eine Frau. Während Brosius-Gersdorf unter anderem mittels gezielter Desinformation unterstellt wurde, eine zu liberale Haltung zu Abtreibungen zu vertreten, wird Kaufhold jetzt unter anderem vom ehemaligen "Bild"-Chefredakteur und heutigen Betreiber des rechten Nachrichten-Portals "Nius", Julian Reichelt, rechten Medien und der AfD-Politikerin Beatrix von Storch vorgeworfen, Klimaaktivistin und deswegen nicht geeignet zu sein für das höchste Richteramt.

Mimikama, eine Plattform für das Aufklären von Desinformation, erkennt eine "gezielte Desinformationskampagne" gegen Kaufhold beispielsweise mit der Verbreitung eines Fake-Zitats [externer Link].

Wieder wären die Vorwürfe "verleumderisch" und es würde "nicht mit Fakten gearbeitet", sagt auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige FDP-Bundesjustizministerin sowie ehemaliges Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Das führe zu einer "persönlichen Diffamierung von Personen" wie Brosius-Gersdorf oder Kaufhold.

Kommunikationswissenschaftlerin: "Angriffe auf Frauen verlaufen anders – und heftiger"

Katharina Kleinen-von Königslöw ist Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg und forscht seit Jahren zum öffentlichen Umgang mit Frauen in Spitzenämtern. Sie benennt ein klares Muster, das den Angriffen auf Brosius-Gersdorf und Kaufhold zugrunde liegt.

Ihrer Einschätzung nach wäre die Debatte anders verlaufen, wenn statt der beiden Frauen zwei Männer zur Wahl gestanden hätten: Bei Frauen gehe es um andere Inhalte, auch die Intensität sei eine andere: "Die Angriffe sind in der Regel heftiger, insbesondere, wenn sie aus dem Rechtsaußenlager kommen."

Aktivismus als rechtspopulistischer Kampfbegriff

Auch Leutheusser-Schnarrenberger erkennt ein System in den Angriffen, indem bewusst mit "Triggerwörtern" gearbeitet wird, die "in gewissen Teilen der Gesellschaft sofort zu Gegenreaktionen führen". Die Darstellung Kaufholds als "Aktivistin" etwa nutze einen Begriff, der von Rechtsaußen-Akteuren bewusst eingesetzt werde, um Frauen politisch zu diskreditieren.

Kleinen-von Königslöw stimmt dem zu und ergänzt, dass politische Positionen bei Männern häufig positiver dargestellt würden: "Das wird bei Männern viel stärker als legitim angesehen."

Expertin sieht Angriff auf Unabhängigkeit der Justiz

Doch selbst wenn Richterinnen und Richter natürlich eine persönliche politische Meinung hätten, bleibe das Bundesverfassungsgericht ein unabhängiges Gremium, betont Leutheusser-Schnarrenberger: "Man muss niemandem gefallen, man muss sich niemandem gegenüber rechtfertigen, um dann wiedergewählt werden zu können", so die ehemalige Bundesjustizministerin.

Entscheidend seien allein die juristische Qualifikation und argumentative Auseinandersetzung mit der Verfassung. "Daher halte ich einen Einfluss von parteipolitischen Haltungen für extrem gering." Die aktuellen Kampagnen zielten daher nicht nur auf einzelne Personen, sondern gefährdeten auch auf die Institution selbst, so Leutheusser-Schnarrenberger weiter.

Mit Besorgnis sieht auch Kleinen-von Königslöw einen Angriff auf die unabhängige Justiz durch "relativ kurzfristig mobilisierende emotionale Kampagnen" – was etwa bereits in den USA stattfinde, sei in Deutschland bisher kaum denkbar gewesen, auch weil etwa die Bundestagsabgeordneten die Gewaltenteilung ernst genommen hätten.

Leutheusser-Schnarrenberger: Appell, nicht Kampagnen nachzugeben

Leutheusser-Schnarrenberger ruft die Abgeordneten des Bundestags dazu auf, gezielte Kampagnen zu durchschauen und ihnen nicht nachzugeben. Gerade jetzt sei es ihre Verantwortung, Haltung zu zeigen – und nicht, aus Angst vor Kontroversen, auf weniger angegriffene männliche Kandidaten auszuweichen. "Sie können jetzt nicht drei Männer vorschlagen, nur damit Sie vielleicht keinen Ärger bekommen", mahnt sie. Die Kandidatinnen Brosius-Gersdorf und Kaufhold dürfe man "nicht im Regen stehen lassen".

Unabhängigkeit des höchsten Gerichts bedroht?

Die Debatte um die Verfassungsrichterwahl hat damit eine höhere Ebene erreicht. Es gehe nicht mehr nur um zwei Personalien, da sind sich die beiden Expertinnen einig: Es gehe um die Frage, ob diffamierende, frauenfeindliche Kampagnen erfolgreich Einfluss auf zentrale demokratische Prozesse nehmen können – oder ob das Parlament sich dieser Strategie widersetzt und damit, letztlich, auch die Unabhängigkeit des höchsten deutschen Gerichts wahrt.

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