An Beifallsstürmen mangelte es im israelischen Parlament am Mittag nicht, als US-Präsident Donald Trump den Plenarsaal der Knesset betrat. Er wurde mit Ovationen und Gratulationen überschüttet. Niemand anderer als Trump hätte das scheinbar Unmögliche möglich machen können. Es fehlte nicht an Superlativen, mit denen die Rolle des US-Präsidenten beim Zustandekommen seines 20-Punkte-Plans für Gaza vom Parlamentspräsidenten, von Premierminister Benjamin Netanjahu und Oppositionsführer Jair Lapid gewürdigt wurde.
Trump: Der Krieg ist vorbei
Trump machte keinen Hehl daraus, dass er zusammen mit seinen Unterhändlern, mit Netanjahu und einem breiten Bündnis arabischer und muslimischer Staaten tatsächlich für ein Ende des Gazakriegs, die Rückkehr der Geiseln, die Freilassung von knapp 2.000 palästinensischen Häftlingen und für eine politische wie wirtschaftliche Zukunftsperspektive für die Region gesorgt hätte. Was ihn betreffe, so sei der Krieg vorbei.
Alle Anwesenden in der Knesset wussten, dass der US-Präsident damit einer Rückkehr von Kampfhandlungen einen Riegel vorgeschoben hat: "Endlich ist der lange und schmerzhafte Albtraum nicht nur für die Israelis, sondern auch für die Palästinenser vorbei", sagte Trump. Damit dürfte er auch all diejenigen Kräfte in der Region gewarnt haben, gegen seine Vereinbarung zu verstoßen.
Mit den Staatschefs von Ägypten, Katar und der Türkei unterzeichnete Trump am Abend in Scharm el-Scheich eine gemeinsame Erklärung. Diese soll die Vereinbarung zwischen Israel und der islamistischen Hamas über die Waffenruhe im Gazastreifen formell besiegeln.
Im Video: Geiseln frei - Frieden jetzt?
Brennpunkt: Geiseln frei - Frieden jetzt?"
Alle 20 lebenden Geiseln nach Israel heimgekehrt
Unmittelbar vor Trumps Rede in der Knesset hatten Armeehubschrauber alle 20 lebenden Geiseln nach Israel zu ihren Familienangehörigen gebracht. Dieser Moment, auf den viele Menschen in Israel kaum mehr zu hoffen gewagt hatten, symbolisierte wie kein zweiter, dass es vorbei ist. Dass nach 738 Tagen die letzten Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas zurückkehren und wieder in Sicherheit sind. Ein Elternpaar, das seine Zwillingssöhne kurz vor ihrer Rückkehr nach Israel erwarteten, konnte die Gefühle kaum formulieren: "Nach zwei Jahren können wir wieder frei atmen. Gefühle wie Angst, Traurigkeit und Sehnsucht wurden augenblicklich durch ein Glück ersetzt, von dem wir nicht wussten, dass wir so etwas empfinden können."
In den Gesichtern der zehntausenden Menschen, die auf dem sogenannten "Hostages Square" auf die erlösende Nachricht gewartet hatten, spiegelte sich die ausgelassene Freude über das Ende des – wie Trump es nannte – "langen und schmerzhaften Albtraum" wider. Erst in den kommenden Wochen dürfte die Zeit der politischen Aufarbeitung anbrechen. Bislang hat Premierminister Netanjahu alle Forderungen nach Bildung einer staatlichen, unabhängigen Untersuchungskommission mit dem Hinweis zurückgewiesen, Israel befinde sich noch im Krieg und deshalb sei es jetzt nicht an der Zeit, zurückzublicken. Das politische Israel richtet bereits den Blick auf die bevorstehenden Wahlen, die spätestens im Herbst des nächsten Jahres durchgeführt werden müssen.
Freude über die Rückkehr der palästinensischen Gefangenen
In Khan Younis im Süden des Gazastreifens kamen die Busse mit den freigelassenen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen nicht einmal im Schritttempo voran, so dicht war die Menschenmenge, die auf ihre Angehörigen warteten. Kinder wurden an die offenen Busfenster gehoben, um Väter und Brüder zu herzen. Auch für die Palästinenser ging ein schmerzvoller Albtraum vorbei. Nach zwei Jahren tagtäglicher Todesangst, zigfacher Vertreibung, großflächiger Zerstörung ihrer Städte und Dörfer sowie der katastrophalen Versorgung mit dem Allernotwendigsten atmet Gazas Bevölkerung auf. Im besetzten Westjordanland kehrten Hunderte Palästinenser zurück zu ihren Familien.
Unter den rund 2.000 Freigelassenen befanden sich knapp 1.700 Menschen, die Israel nach dem Hamas Massaker vom 7. Oktober 2023 im Gazastreifen festgenommen hatte. Knapp 160 Häftlingen verweigerte Israel die Rückkehr zu ihren Familien. In welche Länder sie ausgeliefert werden, ist noch nicht bekannt.
Was ist mit der Hamas?
Die vertriebenen und völlig erschöpften Bewohner des zu drei Vierteln zerstörten Gazastreifens kehren in das zurück, was sie früher einmal ihre Häuser und Wohnungen genannt hatten. Das Ausmaß der Zerstörung wird den Menschen mit jedem Tag der Rückkehr deutlicher. Die Hamas, mit der Trumps Unterhändler Steve Witkoff und der Schwiegersohn des Präsidenten Jared Kushner nach Angaben des israelischen TV-Senders Kanal 12 in der vergangenen Woche direkt in Kairo gesprochen haben sollen, steht unter einem gewaltigen Rechtfertigungsdruck. "Alles, was als moralischer oder symbolischer Erfolg für die Hamas angesehen werden könnte, fehlt in dem Trump-Abkommen", analysiert ein Korrespondent der Tageszeitung "Haaretz". Die Hamas habe zugestimmt, alle Geiseln freizulassen für einen nur teilweisen Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen, "der nun deutlich kleiner ist als am Vorabend des 7. Oktober". All dies werden die palästinensischen Bewohner des ruinierten Küstenstreifens nicht vergessen und der Hamas die Frage stellen: Was habt ihr nur angerichtet?
Im Video: BR-Reporter Verenkotte über die Entwicklungen in Nahost
BR-Reporter Clemens Verenkotte
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