Mit seinem Interview am vergangenen Wochenende irritierte CDU-Chef Friedrich Merz die Öffentlichkeit. Der "Bild am Sonntag" hatte Merz gesagt, dass ein Mindestlohnanstieg auf 15 Euro im kommenden Jahr und eine Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen nicht gewiss sei. Dabei steht im Koalitionsvertrag etwas anderes – oder etwa nicht? Unscheinbare Worte wie "werden", "möchten" oder "prüfen" zeigen an, wie sicher oder unsicher geplante Maßnahmen der zukünftigen Koalition tatsächlich sind.
Im Koalitionsvertrag fest vereinbart – "werden" oder "führen ein"
Wenn der Koalitionsvertrag konkrete Formulierungen wie "werden" oder "führen ein" enthält, handelt es sich in der Regel um Punkte, die politisch bereits entschieden sind. Ein konkretes Datum für die Umsetzung kann ein weiteres Indiz sein. Dies trifft beispielsweise auf die von der CSU geforderte Pendlerpauschale und die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie zu.
Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wir werden die Pendlerpauschale zum 01.01.2026 auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer dauerhaft erhöhen." In der Gastronomie wird "die Umsatzsteuer für Speisen […] zum 01.01.2026 dauerhaft auf sieben Prozent reduziert". Gleiches gilt für die Körperschaftsteuer, die ab dem 01.01.2028 stückweise gesenkt wird.
Weniger fest – Formulierungen mit "wollen" oder "möchten"
Formulierungen wie "wollen" oder "möchten" deuten auf Vorhaben hin, die politisch zwar gewollt sind, aber eher einer Absichtserklärung gleichen. Diese Punkte sind häufig abhängig von weiteren Verhandlungen.
Eine der diskutierten Neuerungen im Koalitionsvertrag ist die Einführung einer Frühstart-Rente für Kinder, bei der jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr monatlich zehn Euro für die Altersvorsorge auf einem Depot gutgeschrieben bekommt. Die Formulierung "zum 01.01.2026 wollen wir die Frühstart-Rente einführen" zeigt trotz konkretem Datum nur den politischen Willen der Koalition, ohne dass die Frühstart-Rente garantiert wird.
Gleiches gilt für die Reform der Schuldenbremse. Diese wird laut Koalitionsvertrag angestrebt. Dazu soll eine Expertenkommission einen Vorschlag für eine Modernisierung erarbeiten. Auf dieser Grundlage wollen die Koalitionäre "die Gesetzgebung bis Ende 2025 abschließen".
Offen und verhandelbar – vage Worte wie "prüfen" und "unterstützen"
Einige Punkte im Koalitionsvertrag sind nicht nur vage formuliert, sondern hängen auch von externen Faktoren oder Entscheidungen Dritter ab. Hier wird oft mit Formulierungen wie "prüfen" oder "unterstützen" gearbeitet.
Dies trifft auf eine Menge von Vorhaben im Koalitionsvertrag zu. Beispielsweise wird die Auflösung der Bundesanstalt für Post- und Telekommunikation geprüft, wie auch die Einführung einer Gründerschutzzone für Start-up-Gründungen, die weniger Bürokratie bringen soll. Unterstützt werden soll zum Beispiel die Raumfahrt mit Initiativen wie einer Startplattform für Raketen in der Nordsee.
Kommission statt Koalition beim Mindestlohn
Ein ähnlicher Fall ist auch der Mindestlohn. Die Erhöhung auf 15 Euro im Jahr 2026, die insbesondere von der SPD gefordert wurde, ist im Vertrag enthalten. Allerdings ist das keine Garantie, dass die Erhöhung tatsächlich kommt. Denn darüber entscheidet nicht die Koalition, sondern die Mindestlohnkommission. Diese besteht aus Vertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden.
CDU/CSU und SPD bekennen sich in ihrem Vertrag zu dieser Kommission und "stehen zum gesetzlichen Mindestlohn". Dementsprechend hat Friedrich Merz recht, wenn er sagt, dass die Erhöhung nicht fix ist – denn das liegt schlicht nicht in seiner Hand.
Sonderfall Einkommensteuer
Auch resolut klingende Formulierungen können täuschen. So wird laut Koalitionsvertrag "die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur" gesenkt. Das klingt nach einem fest vereinbarten Ziel, allerdings lässt die Formulierung offen, wann genau die Senkung kommt und in welchen Größenordnungen sie Arbeitnehmer entlasten wird.
Doch auch darauf hat der Koalitionsvertrag gewissermaßen eine Antwort, denn: "Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt". Heißt: Alle Vorhaben, auch vermeintlich fest vereinbarte, wie die Pendlerpauschale oder die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, werden nur umgesetzt, wenn ausreichend Geld im Haushalt vorhanden ist.
Im Audio: Was genau ist ein Koalitionsvertrag?
CDU-Chef Friedrich Merz (vorne l.) mit Co-SPD-Chefin Saskia Esken, dahinter Co-SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD) (l.) und CSU-Chef Markus Söder
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