Es ist lebendig im Bundestag. Friedrich Merz (CDU) steht am Rednerpult. Seine Sätze: scharf wie ein Skalpell. Er warnt vor einer Explosion der Staatsverschuldung. Die Schuldenbremse müsse angezogen bleiben, um die Koalition zur Disziplin zu zwingen.
Das war vor einem Jahr. Friedrich Merz war damals Oppositionsführer. Seine Rede in der Generaldebatte zum Haushalt 2025: Eine Abrechnung mit der damaligen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Die zerbricht unter anderem an diesem Haushalt. Es dauert ein Jahr, bis ein neuer Bundestag den Etat in dieser Woche mit großer Verspätung verabschiedet.
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Merz: Vom Oppositionsführer zum Kanzler
Jetzt steht Merz als Bundeskanzler am Rednerpult. Es ist recht ruhig im Plenum. Seine schwarz-rote Koalition hat sich mit Sondervermögen einen beispiellosen finanziellen Spielraum verschafft. Von einer Schuldenbremse spricht Merz heute nicht.
Bei der Analyse der Lage im Land hört sich der Bundeskanzler Merz ähnlich an wie der Oppositionsführer Merz. Die Wirtschaft steht unter Druck. Die Sozialsysteme sind dringend reformbedürftig. Aber darauf kommt der CDU-Chef erst später.
Verteidigung und Rente
Zuerst: der russische Angriff auf die Ukraine – und darüber hinaus. Putin teste Grenzen, sabotiere, wolle unsere freie Gesellschaft destabilisieren. "Wir werden das nicht zulassen", verspricht Merz. Der Kanzler verteidigt die Entscheidung, Rüstungsausgaben von den Regeln der Schuldenbremse auszunehmen. Das hat nach seinen Worten ein Auseinanderbrechen der Nato verhindert. AfD-Chefin Alice Weidel hatte ihm davor "Kriegstreiberei" vorgeworfen. Merz ignoriert das in seiner Rede.
Dann kommt Merz auf den von ihm ausgerufenen "Herbst der Reformen". Der sei längst eingeleitet. Zum Beispiel mit der Aktivrente (für ältere Arbeitnehmer) und der Frühstartrente (für die Altersvorsorge junger Menschen). Der Kanzler mahnt zur Generationengerechtigkeit: "Die jungen Menschen dürfen nicht zusätzlich belastet werden, nur weil sie in der Unterzahl sind." Applaus brandet auf in den Reihen der Union. Beim Koalitionspartner SPD klatscht fast niemand – nicht nur beim Thema Rente.
Bürgergeld und Reichensteuer
Merz will das Land auf Reformen einstimmen. Zum Beispiel beim Bürgergeld. Es gehe nicht darum, Menschen, die nicht arbeiten können, das Leben schwerer zu machen. Wer arbeitet, dürfe aber nicht das Gefühl haben, den Missbrauch des Systems zu finanzieren.
Der von Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) angestoßenen Debatte über die ungleiche Verteilung von Vermögen nimmt Merz den Wind aus den Segeln: "Wir können die sozialen Versprechen nicht halten, indem wir wenigen, und seien sie noch so vermögend, möglichst viel nehmen."
Grüne und Linke mahnen soziale Gerechtigkeit an
Hier setzen die Kritiker in dieser Generaldebatte an. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge wirft Merz vor, die Reichen zu schonen und ärmeren Menschen Angst zu machen. "Sie haben ja nicht zu wenig Geld – sie geben es den Falschen", sagt Dröge und macht gleich klar, wen sie damit meint: die CSU mit ihren Projekten einer ausgeweiteten Mütterrente, Subventionen für Agrardiesel und einer niedrigeren Mehrwertsteuer in der Gastronomie. Dröges Fazit: "Nichts ist teurer in dieser Koalition als die CSU."
Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek klingt ähnlich. Sie warnt vor einem "Herbst der sozialen Grausamkeiten". Nötig aus ihrer Sicht: Alle sollten in Rentenkasse und gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Höhere Steuern sollten her auf große Vermögen und Erbschaften.
Herbst der Reformen: Erst der Anfang
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch nennt die Diskussion über höhere Steuern für Superreiche eine "offene Baustelle" in der Koalition. Aber er unterstreicht: "Wir brauchen Reformen" – nicht nur im Herbst, sondern in allen Jahreszeiten.
Auch Friedrich Merz betont: Der Herbst der Reformen sei erst der Anfang. Inhaltlich bleibt der Kanzler noch vage. Und emotional mitreißend war seine Rede nicht, wie die Reaktionen der Abgeordneten zeigen. Auch da unterscheidet sich der Kanzler Merz vom Oppositionsführer Merz.
Im Video: Generaldebatte - Merz will tiefgreifende Reformen
Generaldebatte - Merz will tiefgreifende Reformen
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