Es ist kurz nach 19 Uhr, als die vier Parteichefs der schwarz-roten Koalition den Pressesaal im Kanzleramt betreten. Lächelnd gehen sie nach vorn zum Podium, begleitet vom Klicken der Kameras. Die Fotografen halten jede Regung fest – und dessen sind sich die Spitzenpolitiker natürlich bewusst. Der Kanzler wirft seine dunkle Mappe mit dem Bundesadler geräuschvoll auf den Tisch. Doch an diesem Abend will Friedrich Merz nicht nur sein Macher-Image pflegen, sondern auch eine humorvolle Seite zeigen.
Was der CDU-Chef Bärbel Bas zuflüstert, ist von den Presseplätzen aus nicht zu verstehen. Die SPD-Co-Chefin aber lacht kurz – und sorgt damit für genau die Bilder, die die Koalition bei dieser Spitzenrunde produzieren will. "Wir haben uns in einem ausgesprochen guten Klima getroffen", stellt Merz fest. Was die Sozialdemokratin bestätigt: "Es ist in der Tat so, dass wir gute Gespräche geführt haben."
Merz und Bas wollen Streit über Sozialstaat beilegen
Schon am Vortag hatten sich Merz und Bas besprochen. Bei einem Abendessen und ein, zwei Gläsern Bier habe man sich ausgetauscht, verrät der Kanzler. Thema bei beiden Treffen: die "Auseinandersetzung, die ja nachlesbar war". So formuliert es die Arbeits- und Sozialministerin am Mittwochabend. Gemeint ist der Streit darüber, ob der Sozialstaat in der jetzigen Form auch künftig finanzierbar ist. Der Kanzler bezweifelt das, die zuständige Ministerin hat die Debatte dagegen "Bullshit" genannt.
Jetzt aber wollen die Regierungspartner den Blick auf die versprochenen Reformen richten. Nach der "Sommerdepression der Koalition", sagt Markus Söder, gehe es darum, "eine neue Herbstkraft" zu finden. Der CSU-Chef ist an diesem Abend der Einzige in der Runde, der sein Lächeln sparsam einsetzt: "Es gab schon eine Menge aufzuarbeiten." Womit er sich etwa auf die verpatzte Richterwahl zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause beziehen dürfte.
Richterwahl: Kanzler räumt Fehler ein
Eine Wahl, die man besser hätte vorbereiten müssen, wie Merz einräumt. Die Richterwahl war in letzter Minute gescheitert – wegen großer Vorbehalte in der Unionsfraktion gegen die von der SPD vorgeschlagene Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Jetzt setzt der CDU-Chef darauf, dass sich die Koalitionspartner schnell auf eine neue Kandidatin einigen. Viel mehr ist dazu erwartungsgemäß im Kanzleramt nicht zu erfahren. Die Sache liegt auf dem Schreibtisch der Fraktionsvorsitzenden, nicht der Parteichefs.
Von der Richterwahl abgesehen hatte der Regierungssprecher durchaus Erwartungen an diese Koalitionsrunde geweckt. Union und SPD hätten zwei, drei Tagesordnungspunkte "sehr intensiv vorbereitet", so Stefan Kornelius am Mittwochmittag. Diese seien "quasi verabschiedungsreif".
Schwarz-Rot will Investitionen beschleunigen
Am Abend dann kündigen die Bündnispartner an: ein Spitzentreffen mit der Autoindustrie. Ein weiteres mit der Stahlindustrie. Und auf Nachfrage auch ein Gesetz, mit dem Investitionen durch kürzere Genehmigungsverfahren beschleunigt werden sollen. Als Ergänzung zum Schuldentopf für die Infrastruktur. Die Koalition will die vielen Milliarden für Straßen, Brücken und Schienen möglichst effektiv verwenden.
Was aber hat Schwarz-Rot nun mit dem Sozialstaat vor? "Wir wollen ihn nicht schleifen, wir wollen ihn nicht abschaffen", versichert der Kanzler. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, schließlich hat der Sozialstaat Verfassungsrang. Aber nach den Irritationen der zurückliegenden Wochen war es Merz wichtig, ein versöhnliches Signal an die SPD zu senden. Und zumindest bei der Parteiführung der Sozialdemokraten zeigt es Wirkung: "Man muss mich hier nicht zum Jagen tragen", sagt Bas.
Offene Fragen bei geplanter Bürgergeld-Reform
Auch die Ministerin sieht Reformbedarf. "Wir sind da auf dem gleichen Kurs", sagt sie. Bas stellt aber auch klar, dass es nicht um eine Kürzung von Sozialleistungen gehen könne. Sondern eher um mehr Effizienz und weniger Bürokratie.
Vor dem Treffen im Kanzleramt hatte Merz zum ersten Mal ein konkretes Einsparziel beim Bürgergeld genannt. Zehn Prozent der Gesamtausgaben sollen es sein – das wären rund fünf Milliarden Euro. Wie Schwarz-Rot ohne Leistungskürzungen auf eine solche Summe kommen will, bleibt auch nach dieser Koalitionsrunde offen.
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