Katja hat länger gezögert, bevor sie uns ein Interview gab. Sie willigt schließlich ein – aber nur unter der Bedingung, dass wir ihren Namen ändern und keine Fotos machen. Zu groß ist ihre Angst vor der Verfolgung durch das russische Regime – auch hier in Deutschland.
Heimkehr nach fünf Jahren im Exil
Katja ist politisch aktiv, kritisiert bei Demonstrationen oder im Netz die russische Regierung und den Krieg gegen die Ukraine. Sie ist gerade zurückgekommen aus Georgien, um dort nach fünf Jahren ihre Mutter zum ersten Mal wieder zu sehen.
Der jungen Frau um die Dreißig kommen die Tränen, als sie von diesem Moment erzählt: "Das ist wirklich ein ungewöhnliches Gefühl, wenn auf einmal deine Mutter neben dir sitzt, du sie anfassen kannst. Sie hat für mich seit Jahren nur noch auf Whatsapp existiert." Mutter und Tochter waren beide überwältigt. Sie hätten sich erst wieder aneinander gewöhnen müssen.
Sicherheitsvorkehrung: Chats löschen
Ihre Mutter sei älter geworden, mittlerweile gesundheitlich angeschlagen. Deshalb sei es schön gewesen, ihr etwas Gutes zu tun. "Ich habe meine Mutter zum Essen eingeladen, einige Probleme für sie gelöst." Katja zeigt mir die Socken, die ihr die Mutter gestrickt hat. Denn Fotos hat sie aus Sicherheitsgründen keine gemacht.
Katja geht immer auf Nummer sicher. Ihre Mutter habe sie daher genau instruiert: Den YouTube-Verlauf löschen, ihr, der Tochter, keinesfalls auf sozialen Medien folgen, alle Chats löschen. Ihre größte Angst sei, dass ihrer Familie in Russland etwas passiert, wegen ihrer Aktivitäten. "Nicht alle in meiner Familie unterstützen, was in Russland passiert. Auch habe ich LGBTQ-Personen in meinem engeren Kreis. Das ist gefährlich für sie."
Menschenmaterial für Gefangenaustausch
Selbst wieder in ihre Heimat zu reisen, scheint ihr zu riskant: "Ein harmloseres Szenario ist, dass ich an der Grenze stundenlang festgehalten werde unter menschenfeindlichen Bedingungen, dass mein Handy durchforstet wird. Der worst case wäre, dass ich wegen einer Kleinigkeit verhaftet werde, weil sie in mir nützliches Material für einen späteren Gefangenenaustausch sehen."
Der andere wichtige Grund ist ein emotionaler: "Ich will einfach nicht in ein Land reisen, das ich von außen als Aggressor wahrnehme. Ich weiß, dass ich dort dann positive Erfahrungen haben würde, auch mit meinen Leuten. Das kann ich kaum ertragen." Alles, was mit Heimat und Kindheitserinnerungen zu tun habe, habe sie in eine Box geschlossen und diese zugesperrt, meint Katja.
Angst vor Wiedersehen mit dem Vater
Ihre Familie will sich trotzdem ab jetzt regelmäßig wieder sehen. Im Frühjahr will auch ihr Vater zusammen mit der Mutter nach Georgien kommen. Ihn nach fast sechs Jahren wieder zu sehen, macht Katja trotz der Sehnsucht auch Angst. Er sei absolut linientreu, erklärt sie, und: "Er ist in diesem russischen patriarchalen Weltbild extrem gefangen. Er hackt die ganze Zeit auf mir rum, weil ich nicht verheiratet und nicht schwanger bin." Berufliche Erfolge zählten für ihn nichts, weil sie eine Frau sei. Und eine Frau sei in Russland eine Mutter, auch das sei Teil der russischen Propaganda.
Noch sicher in Georgien
Noch ist Georgien ein günstiger Treffpunkt, da er von Deutschland und von Russland aus gut zu erreichen ist und man kein Visum braucht, aber vor allem weil es dort noch sicher ist. Anders als zum Beispiel die Türkei: Katja berichtet, dass viele regimekritische Russen das Land mittlerweile meiden oder verlassen haben, weil man sich in der Community erzählt, dass die Türkei für sie nicht mehr sicher sei.
Doch wie es in Georgien unter der pro-russischen Regierung weitergeht, die nach russischem Vorbild Gesetze beschließt, die immer repressiver gegen pro-westliche Demonstranten und Oppositionelle vorgeht, ist unklar. Katja und viele andere Exil-Russen hoffen, dass es noch einige Zeit sicher bleibt und sie zumindest für einige Tage ihre Familie in Georgien wiedersehen können.
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