Viel hat er nicht von seinem Urlaub am Tegernsee. Falls Friedrich Merz (CDU) gedacht hatte, sich in bayerischer Idylle ein paar Tage vom stressigen Dasein als Bundeskanzler erholen zu können, erwies sich das als Trugschluss. Der Krieg in der Ukraine und vor allem die Frage, wie es dort endlich zu einem Ende der Kämpfe kommen könnte, nahmen Merz vollumfänglich in Beschlag.
Merz: Der starke Mann Europas
Das liegt auch daran, dass sich der deutsche Bundeskanzler in dieser Frage als die Stimme Europas inszeniert – und in Teilen auch als eine solche wahrgenommen wird. "Merz füllt die Führungsrolle aus", heißt es etwa vom Chef der bürgerlich-konservativen EVP, Manfred Weber (CSU). "Ohne Friedrich Merz hätte Europa in diesen Tagen keine einheitliche Haltung und damit keine wahrnehmbare Stimme", lobt Unions-Fraktionschef Jens Spahn (CDU).
Dass der deutsche Bundeskanzler innerhalb der EU deutlich mehr Dampf macht als sein Vorgänger Olaf Scholz (SPD), wird in Brüssel – noch – anerkennend registriert. Vor allem im Umgang mit einem irrlichternden US-Präsidenten zeigen sich Merz‘ Managementfähigkeiten: Die Gespräche im Vorfeld führten zunächst zum Gipfel im Kanzleramt – ein Scoop für Merz. Und auch beim Gipfel in Washington war es Merz, der im Vorfeld die Fäden gezogen, die Absprachen koordiniert hatte. Das Schauspiel mit verteilten Rollen, um US-Präsident Donald Trump wieder an die Seite der Europäer und damit der Ukraine zu lotsen, gelang jedenfalls. Vorerst.
Und was macht der Außenminister?
Dass Merz so sehr die Außenkarte spielt, könnte das Handlungsfeld des aktuellen Außenministers Johann Wadephul (CDU) einschränken. Sollte es Wadephul stören, dass der Kanzler die große Außenpolitik bespielt, lässt er es sich nicht anmerken. "Friedrich Merz ist der Bundeskanzler, er ist der Boss, er hat die Richtlinienkompetenz", beschreibt der Außenminister wie immer sehr unaufgeregt in einem TikTok-Video, unterlegt von treibenden Beats. Merz höre ihn, gebe ihm viel Gestaltungsspielraum, es mache "viel Spaß".
Die Arbeitsteilung jedenfalls sieht so aus: Die Arbeit im Maschinenraum der Außenpolitik übernimmt der Minister, der große Bühnenauftritt gehört dem Kanzler. Wadephul – so sagt er es oft – hat damit kein Problem.
Dass Merz gelegentlich aus dem Bauch heraus entscheidet, ist hingegen problematischer: So geschehen bei dem Entschluss, Teile der Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen. In diese Entscheidung war Wadephul nach eigenen Angaben eingebunden: "Ich bin der Außenminister, natürlich war ich informiert". Viele andere in der Union waren von dem Merz-Move jedoch überrascht worden – negativ überrascht. Die Kritik am Kanzler schwoll so lautstark an, dass Merz seinen Urlaub am Tegernsee ein erstes Mal unterbrechen musste, um in den ARD-Tagesthemen klarzustellen, dass diese Entscheidung keineswegs die totale Abkehr von einer jahrzehntelangen Israel-Unterstützung bedeutet. Dass sich Merz manchmal im Ton vergreift, etwa wenn er Israel bescheinigt, mit der Bombardierung der iranischen Atomanlagen die "Drecksarbeit" für die Europäer zu machen? So ist er halt, der Merz.
Blinder Fleck: Die Innenpolitik
So sehr der Kanzler auf dem außenpolitischen Parkett glänzt, so matt scheint sein Stern in der Innenpolitik. Auch wenn ihn EVP-Chef Weber hier verteidigt: Viele innenpolitische Fragen seien internationale Fragen, so etwa die Fragen der Zollpolitik. Die würden direkten Einfluss darauf nehmen, ob Deutschland seine Autos weiterhin verkaufen kann, sagt Weber: "Die Trennung zwischen Außen- und Innenpolitik lässt sich nicht vornehmen", Merz mache da "einen Superjob". Dennoch ist die Innenpolitik – noch – nicht die erste Priorität dieses Kanzlers.
Allzu lange wird er das jedoch nicht laufen lassen können: Spätestens mit dem "Herbst der Reformen", den die Regierung angekündigt hat, wird Friedrich Merz auch als Innenpolitiker gefordert sein. Zumal seine schwarz-rote Koalition im Parlament nur eine dünne Mehrheit hat – und viele Abgeordnete in der Vergangenheit schon öfter gezeigt haben, dass sie einen eigenen Kopf besitzen. Aber wenn ein Waffenstillstand in der Ukraine erreicht ist und die Frage von deutschen Truppen in der Ukraine im Bundestag gestellt wird, wird Außenpolitik wieder zur Innenpolitik – und die Loyalität der Koalitionäre zu ihrem Kanzler ein weiteres Mal auf die Probe gestellt.
Im Video: Interview mit Politikforscher Klemens H. Fischer zur Rolle von Kanzler Merz beim Ukraine-Gipfel
Welche Rolle hat denn der Kanzler in Washington gespielt? Hat er sogar Regie geführt, Führung gezeigt?
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