"Go" ruft die Moderatorin der Festgesellschaft, nach einem kurzen Countdown. Alle Wichtigen haben sich um einen symbolischen "roten Knopf" versammelt, Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, ihr Verkehrsminister Matteo Salvini, der EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas. Es soll ein großer Tag für Europa sein. An dem jetzt alle erwartungsvoll in die graue Röhre schauen.
"Go"? – Aber: nichts passiert. Auf dem Bildschirm, auf dem live aus der Tunnelröhre der "Durchschlag" übertragen wird – so nennen sie das – sehen wir einen ferngesteuerten Vorschlaghammer, der sich an einem gelben Roboterarm an der grauen Wand zu schaffen macht.
Der Tunnel ist ein harter Brocken
Der ganze Tunnel ist ein harter Brocken, alle Röhren, nicht nur dieser Erkundungsstollen. In den Eisenbahnröhren wird noch gesprengt. 2032, frühestens in sieben Jahren, sollen die ersten Züge mit Passagieren und vor allem Fracht planmäßig durch den BrennerbasisTunnel (BBT) fahren können.
Jetzt arbeitet der Vorschlaghammer 1.420 Meter tief im Berg. Wenn der Durchschlag gelingt, misst der Erkundungsstollen 57 Kilometer, vom österreichischen Eingang bis zum italienische Ausgang – oder umgekehrt. Ansichtssache.
Es gelingt, "un grande applauso" ruft die österreichische Moderatorin – auf gute europäische Nachbarschaft. Und wenig später: "Machen Sie bitte Platz da vorne, die italienische Ministerpräsidentin muss schon wieder weg."
"Heute triumphiert Europa"
In den Festreden wird Europa gefeiert. Die Konflikte werden mal kurz ausgeblendet. "Heute triumphiert Europa", sagt Salvini, Italiens Verkehrsminister von der rechtspopulistischen "Lega", bekannt als scharfer Kritiker der Tiroler Transit-Verkehrspolitik. Italien hat Österreich deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Salvini stört das Tiroler Nachtfahrverbot für LKW über 7,5 Tonnen, die Blockabfertigung, die für lange LKW-Staus sorgt, die Forderung Tirols, alles, was mit der Bahn gut zu transportieren ist, bitte auch per Bahn über den Brenner zu schicken. Die Brenner-Autobahn sei ein "Flaschenhals", der Tunnel müsse Entlastung bringen, hinterließ Meloni, Italiens Regierungschefin.
"Der Tunnel alleine wird die Transitprobleme nicht lösen"
Das mit der Entlastung wünscht sich auch Österreichs Bundeskanzler Stocker. Wirtschaftlichen Aufschwung durch den Tunnel, das große Thema seiner neuen Regierung, weil die Güter dann schneller zu den Kunden kämen. Aber auch Entlastung für alle entlang der völlig überlasteten Brenner-Autobahn. 2,4 Millionen LKW wurden im vergangenen Jahr auf dieser Transitroute gezählt. Nach Monaten der Rezession. Was heißt: Es waren auch schon einmal mehr. Und dann sorgt Stocker für den Grauschleier an diesem historischen Tag: "Der Tunnel alleine wird die Transitprobleme nicht lösen."
Kritik auch an der EU: Weil die eine wesentlich höhere Maut über den Brenner nicht erlaube, was die Speditionen auf den Weg mit der Bahn zwingen könnte. Keine offene Kritik an den deutschen Nachbarn, das erledigen andere hinter nur halb vorgehaltener Hand.
Keine deutschen Offiziellen geladen
Trotz demonstrativ guter Nachbarschaft, bei diesem Europa-Fest sind keine deutschen Offiziellen eingeladen. Die müssen ein paar andere Probleme lösen. Die Bahnstrecke durch Oberbayern, an Rosenheim vorbei, den sogenannten "Brenner-Zulauf", ein wichtiges Teilstück im großen Nord-Süd-Korridor von Helsinki nach Palermo. Bitte zügig ausbauen, ist die Forderung aus Österreich. 2040 könnte es werden, 2050 wird auch als Jahreszahl genannt. Erst wenn der "Zulauf" viel Bahnverkehr schluckt, kann der Brenner-Basis-Tunnel die auch heute schon formulierten Erwartungen erfüllen.
So lange bleibt es bei demonstrativer Vorfreude. Wir haben einen "Moment des Durchbruchs" erreicht, sagt Tzitzikostas, der EU-Verkehrskommissar. 22 Jahre, nachdem mit der Planung begonnen wurde, 18 Jahre, nachdem sich die EU entschlossen hat, das 10,5-Milliarden-Euro-Projekt maßgeblich mitzufinanzieren. Weil es ein gesamteuropäisches Projekt sei, das am Ende auch Helsinki näher an Palermo bringen werde. Reisende, aber vor allem Güterverkehr von Süd nach Nord, auch umgekehrt, mit deutlich weniger Lärm, weniger Belastung also für die Menschen in Südtirol und in Tirol. Und mit deutlich weniger CO₂-Belastung.
"Europa funktioniert"
"Europa funktioniert" – ist die Botschaft des EU-Kommissars. Er pickt sich die populärsten Beispiele, wie der Tunnel – irgendwann – die Menschen zusammenbringen werde: Von München nach Verona in zweieinhalb Stunden, statt wie bisher in fünfeinhalb. Nach fünfeinhalb Stunden wäre man dann schon in Rom.
Im Video: Erster Durchbruch im Brennerbasistunnel
Seit 2007 wird am Brenner-Basistunnel gebaut. Zum ersten Mal trafen heute die Grabungen von österreichischer und italienischer Seite aufeinander.
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