Eine "Rückführungsoffensive" sieht der Koalitionsvertrag vor (Symbolbild).
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Koalitionsvertrag: Kommt jetzt die "Migrationswende"?

Koalitionsvertrag: Kommt jetzt die "Migrationswende"?

Die Union hat im Wahlkampf eine "Migrationswende" versprochen. In ihrem Koalitionsvertrag setzen CDU, CSU und SPD aber vor allem auf bekannte Konzepte. Ob sie aufgehen, kommt auf die Umsetzung an. Verantwortlich dafür ist die CSU. Eine Analyse.

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Friedrich Merz hat die Migrationspolitik zu seiner Schicksalsfrage gemacht: "Wir müssen das Problem jetzt lösen." Andernfalls sei der Weg frei für Rechtspopulisten. "Dann haben wir spätestens 2029 keinen normalen Regierungswechsel", so der wahrscheinliche künftige Kanzler vor wenigen Wochen. Der CDU-Chef hatte im Wahlkampf von einem "faktischen Aufnahmestopp" gesprochen. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD liest sich weniger rigoros – und trotzdem könnte er wirken.

Grenzkontrollen und Zurückweisungen

Zurückweisungen an der Grenze spielen in der Diskussion eine zentrale Rolle. Die Bundespolizei soll bei Grenzkontrollen künftig auch Asylsuchende zurückweisen. Wie schon im Sondierungspapier gibt es auch im Koalitionsvertrag zwei Einschränkungen: Die Zurückweisungen sollen "in Abstimmung mit europäischen Nachbarn" passieren. Und bei allem muss es sich um "rechtsstaatlichen Maßnahmen" handeln.

Was das in der Praxis heißt, ist offen. Im Koalitionsvertrag steht aber deutlich: "Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet." Die Grenzkontrollen sollen weitergehen, mindestens bis Mitte 2026. An der Grenze zwischen Bayern und Österreich laufen sie bereits seit 2015.

Begrenzung wirkt kaum

Union und SPD wollen den Zuzug begrenzen: Schluss mit freiwilligen Aufnahmeprogrammen, Einschränkungen des Familiennachzugs, mehr "sichere Herkunftsländer". Was nach einer härteren Gangart klingt, betrifft nur einen Bruchteil der Zuwanderung.

Über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan sind seit Oktober 2022 nur 1.437 Menschen nach Deutschland gekommen. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigten macht mit maximal 12.000 Visa im Jahr nur etwa acht Prozent aller Familienzusammenführungen aus.

Union und SPD wollen Algerien, Indien, Marokko und Tunesien als "sicherere Herkunftsländer" einstufen. Das beschleunigt Asylverfahren. 2023 beantragten aus diesen Ländern 8.145 Menschen Asyl.

Besseres Management für mehr Tempo

Während die Asylanträge sinken, rückt das Migrationsmanagement in den Fokus. Die künftigen Koalitionäre setzen auf digitale Verfahren und einen besseren Datenaustausch zwischen den Behörden.

Sie versprechen mehr Tempo bei Asylklagen. Einige Bundesländer wie Rhein-Pfalz machen es vor durch mehr Zentralisierung. Dort sind Klagen nach 5,4 Monaten abgeschlossen. Bayern braucht doppelt so lange. Das komplexe Aufenthaltsgesetz soll entschlackt werden, damit es für Behörden einfacher wird, es anzuwenden. Im Asylverfahren soll künftig gelten, dass Bewerber ihre Aussagen belegen müssen – und nicht mehr die Behörde.

Was nach Verwaltungsarbeit klingt, betrifft einen Schwachpunkt. Sichtbar wird er, wenn abgelehnte Asylbewerber Verbrechen begehen – beispielsweise beim tödlichen Angriff in Aschaffenburg. Schnellere Verfahren könnten einen Unterschied machen.

Neuauflage der "Rückführungsoffensive"

Laut Ausländerzentralregister waren zuletzt 6.159 Menschen in Bayern vollziehbar ausreisepflichtig. Auf sie zielt die "Rückführungsoffensive" – ein Begriff, der schon im Koalitionsvertrag der Ampel 2021 stand. Abschiebungen soll es auch nach Afghanistan und Syrien geben. Der Pflichtanwalt vor Abschiebungen wird gestrichen. Airlines sollen zum Transport verpflichtet werden.

Beratung und Geld sollen die freiwillige Ausreise fördern. Der Bund wird künftig für alle Dublin-Überstellungen zuständig sein. Im Jahr 2024 waren laut dem Dublin-Abkommen andere EU-Länder für knapp 75.000 Asylverfahren verantwortlich. Nur gut 5.800 Menschen wurden überstellt.

Vom Fünf-Punkte-Plan von Friedrich Merz ist wenig übrig. Aus dem Vorschlag, Gefährder und schwere Straftäter dauerhaft in Ausreisearrest zu nehmen, ist im Koalitionsvertrag ein Prüfauftrag geworden. Wer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, soll aber ausgewiesen werden.

Ende der "Turbo-Einbürgerung"

Im Wahlkampf hatte die Union angekündigt, einige Ampel-Vorhaben zurückzudrehen. Das ist nur in einem Punkt gelungen: Die Einbürgerung nach drei Jahren für besonders gut integrierte Menschen wird gestrichen. Sonst bleibt es aber beim neuen Staatsbürgerschaftsrecht inklusive Doppelpass. Außerdem sieht der Koalitionsvertrag ein Bleiberecht für bestimmte geduldete Ausländer vor – ähnlich wie das Chancen-Aufenthaltsrecht der Ampel.

Eine der größten Änderungen betrifft Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Wer von dort kommt, soll künftig kein Bürgergeld mehr bekommen, sondern die niedrigeren Asylbewerberleistungen.

Fazit: Auf die Umsetzung kommt es an

Ob es gelingt, den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, kommt auf die Umsetzung an. Und die ist in der Migrationspolitik kompliziert, denn der Bund ist auf die Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen und EU-Nachbarn angewiesen. Verantwortlich dafür ist nun die CSU, die das Bundesinnenministerium übernimmt.

ARCHIV - 18.10.2023, Niedersachsen, Braunschweig: Ein Mann betritt neben einem Schild vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen am Standort Braunschweig. (zu dpa: «Flüchtlingszahlen zu Jahresbeginn gesunken») Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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