Merkel am 10.09.2015 nach dem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin-Spandau bei einem Selfie mit einem Geflüchteten.
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Merkel am 10.09.2015 nach dem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin-Spandau bei einem Selfie mit einem Geflüchteten.
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Merkel am 10.09.2015 nach dem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin-Spandau bei einem Selfie mit einem Geflüchteten.

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Merkels Entscheidung: 10 Jahre "Wir schaffen das"

Merkels Entscheidung: 10 Jahre "Wir schaffen das"

Im Spätsommer 2015 befinden sich Tausende Geflüchtete auf dem Weg nach Deutschland. Angela Merkel muss unter Druck eine Entscheidung treffen: Soll die Grenze geschlossen werden? Die Vorgeschichte zu "Wir schaffen das".

Über dieses Thema berichtet: Die Entscheidung am .

Tareq Alaows kann sich noch gut erinnern an den Budapester Bahnhof Keleti. Vor allem kann er sich an den beißenden Geruch erinnern, der dort im Spätsommer 2015 herrschte: "Das hat so krass gestunken am Bahnhof. Das war einfach furchtbar, die Situation dort."

Alaows ist auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg, der seit mehr als vier Jahren in seiner Heimat Syrien tobt. Zusammen mit vielen anderen Geflüchteten aus Syrien und anderen Krisengebieten harrt er nun dort aus. Die Journalistin Marietta Slomka beschreibt die Lage damals so: "Ein Wahnsinn, der sich hier mitten in Europa abspielt."

Ungarische Blockade

Über lebensgefährliche Routen sind diese Menschen nach Europa gekommen, auf dem Weg in Richtung Österreich und Deutschland wollten sie über die sogenannte Balkanroute durch Ungarn reisen. Doch jetzt sitzen sie hier fest.

Denn Ungarn verweigert den Geflüchteten die Weiterreise. Die Regierung beruft sich dabei auf die Dublin-Regeln: Demnach müssten die Geflüchteten eigentlich in dem Land Asyl beantragen, wo sie das erste Mal europäischen Boden betreten haben. In Alaows' Fall ist das Griechenland.

Unruhiges Berlin

Im politischen Berlin ist zu diesem Zeitpunkt Sommerpause. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgt die Entwicklungen in Ungarn aber genau.

Sie ahnt, dass sie bald eine Entscheidung treffen muss. Auf ihre europäischen Amtskollegen könne sie dabei nur begrenzt zählen, wie sich der damalige Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) erinnert: "Man hat ja auch verschiedene Diskussionen auf europäischer Ebene geführt, ob es eine europäische Lösung gibt. Aber Angela Merkel war völlig klar, dass wir als Christen mit diesen Menschen umgehen müssen, wie wir es als Christen eben müssen."

Dann überrollen die Ereignisse auch die Kanzlerin.

Flucht nach vorn

Hunderte Flüchtlinge wollen und können nicht länger am Budapester Bahnhof warten. Sie machen sich zu Fuß auf den Weg, laufen auf der Autobahn in Richtung Österreich. Ziemlich weit vorne in diesem Marsch: Tareq Alaows. Er ist mit seinen Kräften am Ende, hat seit Tagen nicht geschlafen.

Am linken Fuß hat er eine offene Wunde, er kann kaum noch laufen. Dann sieht er einen ungarischen Helfer am Straßenrand und spricht ihn an. Der junge Mann hat Mitleid mit Alaows – und nimmt ihn mit seinem Auto bis kurz vor die österreichische Grenze mit. "Die Person war sehr nervös, fuhr mit einer sehr hohen Geschwindigkeit", erinnert sich Alaows, 200 km/h seien das teilweise gewesen. Der Fahrer scheint zu wissen, wie heikel die Situation ist. "Er hat uns einfach klar angewiesen: Wenn Polizeiautos da sind oder wenn ich es euch sage, dann müsst ihr runter, euch verstecken."

Die Nacht der Entscheidung

Es ist klar: Deutschland und Österreich stehen unter Druck, sie müssen nun eine Entscheidung treffen. Unionsfraktionschef Kauder skizziert das so: "Die Kernfrage war, was passiert mit Menschen, die vor unserer Türe stehen in miserabler Situation, ob wir da sagen, nein, das machen wir nicht und welche Botschaft geht davon aus?"

Die Schutzsuchenden an der Grenze abweisen – für Kauder undenkbar: "Das wäre mit einem Deutschlandbild, wie ich mir es immer vorgestellt habe, nicht vereinbar gewesen."

Merkel entscheidet: Die Grenzen bleiben offen. Unter Hochdruck stimmt sie sich in der Nacht des 4. September 2015 mit ihren Ministern und dem österreichischen Kanzler Werner Faymann (SPÖ) ab. Sie erhält grünes Licht: Die Menschen dürfen einreisen.

Kauder ist erleichtert, er erinnert sich aber auch: "Und dann haben wir uns gesagt, jetzt kommen ein paar schwere Tage auf uns zu." Er sollte recht behalten.

Ankunft und Neubeginn

Tareq Alaows schafft es in diesen Tagen tatsächlich nach Deutschland. Nach einer wochenlangen Odyssee fühlt er sich zum ersten Mal wieder sicher.

Was aus Tareq Alaows geworden ist – und warum Angela Merkels Entscheidung bis heute Politik und Gesellschaft prägt und spaltet: Darum geht es in der neuesten Staffel von "Die Entscheidung": Den Podcast finden Sie unter anderem in der ARD-Audiothek.

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