Gerold Becker, Hartmut von Hentig und Helmut Kentler – drei Namen, die im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt stehen – zwei davon als Täter. In den 1980er und 1990er Jahren traten diese Männer unbehelligt auf evangelischen Kirchentagen auf, konnten teils sogar im Präsidium sitzen.
Missbrauchstäter nutzen Evangelischen Kirchentag, um Netzwerke zu pflegen
Für Kirchentagsvorstand Thomas de Maizière eine ernüchternde Erkenntnis: "Es wurde geschwiegen, wo miteinander geredet hätte werden müssen, es wurde nicht nachgefragt, wo hätte nachgefragt werden müssen. Es wurde nicht gehandelt, wo gehandelt hätte werden müssen." Der Kirchentag sei "nicht anders und keinesfalls besser" als andere Institutionen oder die ganze Gesellschaft, so das Fazit von de Maizière.
Die vom Kirchentag in Auftrag gegebene, unabhängige Studie zeigt, dass die Verbindungen der drei Männer zum Kirchentag eng waren: Demnach nutzten die Pädagogen die kirchlichen Treffen, um ihre Netzwerke und ihren guten Ruf zu pflegen.
Keine Distanzierung als Vorwürfe 2010 bekannt wurden
Die Reformpädagogen Hartmut von Hentig, Gerold Becker und Helmut Kentler haben auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag wohl keine sexualisierte Gewalt begangen oder gerechtfertigt, lautet das Ergebnis der Studie, die der Historiker Uwe Kaminsky verfasst hat.
Dennoch habe sich der Kirchentag nicht distanziert, als Vorwürfe gegen die drei bekannt wurden, so die heutige Generalsekretärin des Kirchentags Kristin Jahn: "Menschen, die menschenverachtend handeln oder Positionen so beziehen, das müssen wir uns als Kirchentag genauer anschauen und uns davon distanzieren und dafür sorgen in Zukunft, dass das gar nicht erst passiert, dass wir ihnen eine Bühne geben."
Offen bleibe jedoch die Frage, warum nicht spätestens nach dem breiten Bekanntwerden der Gewalttaten Beckers und Kentlers, also ab 2010, eine eigenständige Aufarbeitung des Kirchentags eingesetzt habe, sagte Jahn.
Mindestens 86 Schüler in Odenwaldschule missbraucht
Als 1999 erstmals öffentliche Vorwürfe gegen Becker wegen Kindesmissbrauchs auftraten, war er bereits seit zwei Jahren aus dem Präsidium ausgeschieden.
2010 kam heraus, dass der langjährige Leiter der Odenwaldschule und Lebenspartner von Hartmut von Hentig etliche Schüler zwischen 12 und 15 Jahren missbraucht hatte. Die Rede ist von mindestens 86 männlichen Opfern. Von Hentig wurde mehrfach eine Mitverantwortung vorgeworfen. Vom Evangelischen Kirchentag gab es damals keine Reaktion.
"Kentler-Experiment": Vermittlung von Kindern an pädophile Pflegeväter
Auch zu dem Psychologen und Pädagogen Helmut Kentler erfolgte keine Distanzierung: Im sogenannten Kentler-Experiment (Link zu tagesschau.de) vermittelte er Kinder und Jugendliche wissentlich an pädophile Pflegeväter. Unterdessen fanden dessen Forderungen nach einem offeneren Umgang mit Homosexualität großes Gehör innerhalb des Evangelischen Kirchentags.
Bereits seit mehreren Jahren betreibt das evangelische Studienzentrum Josefstal, an dem Kentler eine Zeit lang in den 1960er Jahren arbeitete, Nachforschungen über die eigene Geschichte. Die jetzige Studie des Kirchentags findet Pfarrer und Leiter Roger Schmidt richtig, auch wenn er sich schon ein früheres Handeln gewünscht hätte.
Kirchentag will sein Schutzkonzept verbessern
Als Reaktion will der Deutsche Evangelische Kirchentag sein Schutzkonzept verbessern. Die Präventionsmanagerin des Kirchentags, Lea Dreyer, erklärte, für das Protestantentreffen zwischen dem 30. April und dem 4. Mai 2025 in Hannover würden für bestimmte Mitwirkende wie Quartiermeister oder Gruppenleiter erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse eingeholt.
Zudem gebe es Schulungen für Ehrenamtliche und eine Telefonhotline rund um die Uhr. Jede Meldung eines Vorfalls führe zur Bildung eines Interventionsteams. Im Zentrum Kinder und Familie und im Zentrum Junge Menschen werde je eine Schutzzone eingerichtet, dort seien Ansprechpersonen vor Ort.
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