Katholische und evangelische Kirche besorgt die zunehmende internationale militärische Aufrüstung, allerdings findet der Papst wesentlich schärfere Worte als die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Papst Leo XIV. sprach am Donnerstag im Vatikan vor Vertretern der Päpstlichen Hilfswerke für die Ostkirchen (ROACO) von einer "falschen Propaganda der Aufrüstung", mit der "die Friedenswünsche der Völker" verraten würden.
Fehrs: Abschreckung legitim, wenn sie vor Gewalt schützt
Bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist der Tenor etwas anders. Dort wird gerade an einer Neufassung der friedensethischen Empfehlungen gearbeitet. Dort ist man überzeugt: Um vor Gewalt zu schützen, sei Abschreckung legitim und dazu gehöre auch, verteidigungsfähig zu sein. Beim Jahresempfang der EKD, dem traditionellen Johannisempfang in Berlin, sagte die EKD-Vorsitzende, Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs: "Die Situation hat sich erheblich verändert. Der mit den 90er-Jahren für viele erledigt gehaltene Gedanke der Abschreckung ist eben nicht erledigt, wenn – und das betone ich ausdrücklich, wenn sie zur Verhinderung von Gewalt und damit zur Friedensförderung beiträgt."
Friedensethische und sicherheitsethische Fragen müssten strikter als bisher zusammen gedacht werden. "Dabei haben wir als Christenmenschen die jesuanische Botschaft konsequent immer wieder einzutragen, wer, wenn nicht wir, und wir wissen zugleich, das ist das Dilemma, dass diejenigen, die von Gewalt unmittelbar bedroht sind oder angegriffen werden, unseren Schutz brauchen", sagte Fehrs.
Papst: Völkerrecht durch "Recht des Stärkeren" ersetzt
Der Papst positioniert sich da deutlicher kritischer: Mit dem Geld, das für Kriege in der Welt "in die Taschen der Händler des Todes fließt", könnten Krankenhäuser und Schulen gebaut werden, die aber stattdessen damit zerstört würden. "Es ist erschütternd zu sehen, dass die Kraft des Völkerrechts und des humanitären Rechts nicht mehr zu verpflichten scheint und durch das vermeintliche Recht des Stärkeren ersetzt wird. Das ist menschenunwürdig, beschämend für die Menschheit und für die Führer der Nationen."
Angesprochen fühlen dürfen sich Russland genauso wie nach dem mindestens nach dem Völkerrecht zweifelhaften Angriff der USA auf Atomanlagen im Iran. Papst Leo XIV. sieht die weltweite Tendenz zur Aufrüstung sehr kritisch. Beim jüngsten Nato-Gipfel war beschlossen worden, die Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen. "Wie kann man nach Jahrhunderten der Geschichte glauben, dass Kriegshandlungen Frieden bringen und sich nicht gegen jene wenden, die sie führen?", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche. "Wie kann man ohne Zusammenhalt, ohne eine vom Gemeinwohl beseelte Gesamtvision an die Grundlagen für die Zukunft denken?"
Christen im Nahen Osten auch von Gewalt betroffen
Die Gewalt des Krieges treffe gerade Christen im Osten "mit einer teuflischen Vehemenz, die es noch nie gegeben hat", sagte er auch mit Blick auf den Anschlag auf eine Kirche in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mindestens 25 Toten und vielen Verletzten. "Es blutet einem das Herz, wenn man an die Ukraine, die tragische und unmenschliche Situation in Gaza und den Nahen Osten denkt, der durch die Ausbreitung des Krieges verwüstet wurde", so der gebürtige US-Amerikaner. Die Ostkirchen, die oft unter autoritären Regimen Schutz gefunden hätten, forderte der Papst auf, "Jesus treu zu bleiben, ohne sich in den Tentakeln der Macht zu verfangen".
Dass Krieg und seine Folgen geografisch und emotional viel näher an Menschen heranrücken, beobachtet EKD-Ratsvorsitzende Fehrs. Viele, die schon einmal für "Frieden schaffen ohne Waffen" demonstriert hätten, würde sich nun fragen, ob nun gilt: "Frieden schaffen mit Waffen?". "Wenn wir uns ernsthaft auseinandersetzen müssen, dass wir nicht nur Waffenarsenale haben und, dass es sie nicht nur gibt, sondern, dass wir sie womöglich einsetzen müssen", sagte Fehrs. Gleichzeitig beschäftige sie und viele Menschen aber auch - angesichts der massiv steigenden Verteidigungsausgaben - wo die Grenze sei. "Wie hoch ist der Preis? Mit welchen sozialen Konsequenzen geht das einher?", sagte die Ratsvorsitzende.
EKD-Chefin Fehrs betont Vielschichtigkeit beim Thema Frieden
Also Frieden schaffen – zur Not auch mit Waffen? Es sei ein feiner Grat, das räumt Fehrs ein, aber: Es liege ihr daran, die Vielschichtigkeit im Blick zu haben: "Eben nicht hier die vermeintlich naiven Pazifisten und dort die angeblich waffenliebenden Kriegstreiber. Das klingt diffamierend und vertieft die Gräben."
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