Sechs Tote und mehr als 300 Verletzte: Fast ein Jahr nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt ist im Prozess gegen den mutmaßlichen Täter die Anklage verlesen worden. Der Angeklagte Taleb A. habe in der Absicht gehandelt, "eine unbestimmte große Zahl von Menschen zu töten", sagte Oberstaatsanwalt Matthias Böttcher am Montag vor dem Landgericht Magdeburg.
Böttcher sagte bei der Anklageverlesung, A. habe am 20. Dezember 2024 seinen zwei Tonnen schweren und 340 PS starken Wagen "zielgerichtet gegen eine Vielzahl von Passanten gelenkt", dabei sechs Menschen getötet und mehr als 300 teils lebensbedrohlich verletzt. Er habe im Wesentlichen "aus vermeintlicher Kränkung und Frustration" über den Ausgang eines Gerichtsverfahrens und die Erfolglosigkeit eigener Strafanzeigen gehandelt. Er habe willkürlich Opfer gesucht, um Aufmerksamkeit für die "von ihm empfundene Ungerechtigkeit" zu erzielen, sagte Böttcher.
Anklage: Heimtückischer Anschlag aus niedrigen Beweggründen
Die Anklage spricht von einem heimtückischen Anschlag aus niedrigen Beweggründen, den A. mit einem Fahrzeug als gemeingefährlichem Mittel beging. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen plante er die Tat mehrere Wochen detailliert und bereitete sie vor.
Die beiden Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg schilderten detailliert den Ablauf der Tat im Dezember und beschrieben, wie der Angeklagte mit seinem Wagen Menschen erfasste, mitschleifte, überfuhr. Die Ankläger schilderten jeden einzelnen Fall und beschrieben die Verletzungen der Opfer.
Angeklagter: "Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat"
A. räumte ein, am Steuer des Tatwagens gesessen zu haben. Der 51-Jährige verfolgte den Vortrag der Generalstaatsanwaltschaft aus einer verglasten Kabine heraus offensichtlich ohne Emotionen. In seiner rund anderthalbstündigen Aussage, die am Dienstag fortgesetzt werden soll, räumte er ein: "Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat".
Ansonsten äußerte er sich nicht zu den Vorwürfen, sondern sprach in teils wirren Worten und ohne Zusammenhang über Politiker, Gewalt gegen Frauen in seinem saudiarabischen Dorf, religiöse Ressentiments und betrieb Polizei- und Medienschelte. Als er die kommende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt thematisierte, beschied ihm der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg, politische Einlassungen gehörten nicht zur Sache.
Amokfahrer von Magdeburg gilt als schuldfähig
Zu Beginn des Prozesses hatten maskierte Justizbeamte den 51-Jährigen in den Saal geführt. Die Anklage wirft dem aus Saudi-Arabien stammenden Mann unter anderem vollendeten Mord in sechs Fällen und versuchten Mord in 338 weiteren Fällen vor. Er gilt als schuldfähig. Zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und Ausland reisten zu dem Verfahren nach Magdeburg an. Das Landgericht Magdeburg hat bis zum 12. März 2026 zunächst knapp 50 Verhandlungstage angesetzt. Aktuell befindet sich der 51-Jährige im Gefängnis in Burg (bei Magdeburg), nachdem er bereits mehrfach verlegt worden war.
Rund 180 Betroffene und Hinterbliebene als Nebenkläger
Rund 180 Betroffene und Hinterbliebene treten in dem Prozess als Nebenkläger auf, vertreten durch etwa 40 Anwälte. Es ist eines der größten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte. Damit alle Betroffenen teilnehmen können, wurde eigens ein Interims-Gerichtsgebäude errichtet. Auf der Nebenklage-Tribüne hätten 450 Menschen Platz finden können, etwa 90 sind zum Prozessbeginn dort.
Sechs Tote innerhalb weniger Sekunden
Am 20. Dezember 2024 war A. mit dem Mietwagen auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt durch eine Menschenmenge gefahren. Seine Fahrt dauerte laut Generalstaatsanwaltschaft Naumburg eine Minute und vier Sekunden. Der Täter gelangte zwischen einer Fußgängerampel und einer Betonblocksperre auf den Weihnachtsmarkt. Gleich nach der Tat wurde A. festgenommen. Er kam in U-Haft. Bei dem Anschlag wurden sechs Menschen getötet: fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren sowie ein neunjähriger Junge. Zudem wurden mehr als 300 Menschen verletzt oder traumatisiert.
Angeklagter war Facharzt
A. war vor der Todesfahrt im Maßregelvollzug in Bernburg (Salzlandkreis) als Arzt tätig. Sein Aufgabengebiet umfasste die psychiatrische Betreuung von Straftätern auf drei Stationen. Anfang Februar wurde bekannt, dass sich ein Kollege ein paar Monate vor dem Anschlag Sorgen um die Verfassung von A. machte und diese Hinweise auch an Vorgesetzte weitergab.
Auch mehrere Sicherheitsbehörden befassten sich immer wieder mit dem Angeklagten – er fiel aber als Gegner von Islamisten letztlich durch alle Raster. Nach Deutschland kam A. 2006, um hier die Facharztausbildung zu absolvieren. Nach seiner Ausbildung beantragte er im Februar 2016 Asyl und erhielt im Juli desselben Jahres Asyl als politisch Verfolgter.
Mit Informationen von AFP und dpa
Im Video: Weihnachtsmarkt-Anschlag - Prozessbeginn in Magdeburg
Vor dem Landgericht hat der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter Taleb A. begonnen.
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