"Wir müssen mehr und länger arbeiten" – mit dieser Forderung hat Wirtschaftsministerin Katherina Reiche die Debatte über die Zukunft der Rente neu entfacht. Im Interview mit der FAZ verwies die CDU-Politikerin auf die steigende Lebenserwartung und den demografischen Wandel. Doch: Wie realistisch ist ihr Vorschlag – und wie stehen die Parteien der schwarz-roten Koalition tatsächlich zur Zukunft der Rente?
Herausforderung: Baby-Boomer in Rente
CDU/CSU und SPD wissen um das Problem: Die Lebenserwartung in Deutschland hat sich in den letzten 150 Jahren fast verdoppelt, gleichzeitig geht die geburtenstarke Generation der Babyboomer in Rente. Immer weniger junge Menschen zahlen in ein System ein, das für immer mehr ältere Menschen Leistungen erbringen muss. Die Politik steht unter Zugzwang.
Einigkeit herrscht bislang in einem Punkt: Bis 2031 steigt das gesetzliche Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre. CDU/CSU und SPD wollen daran festhalten – darüber hinaus allerdings nicht gehen. Im Koalitionsvertrag wurde außerdem festgelegt, dass das Rentenniveau bis 2031 bei mindestens 48 Prozent gesichert bleiben soll – ein zentrales Anliegen der SPD. Die Sozialdemokraten lehnen Reiches Vorstoß daher entschieden ab.
Union und SPD: Länger arbeiten – aber freiwillig
Die Union reagiert auffallend zurückhaltend zum Vorstoß der eigenen Wirtschaftsministerin. Doch: Seit Kanzler Friedrich Merz (CDU) im Amt ist, betont er bei vielen seiner Reden: "Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten." Geht es um Ältere, setzen Union und SPD aber auf "Freiwilligkeit", wie es im Koalitionsvertrag heißt. Das bedeutet: Arbeiten im Alter soll attraktiver werden – denn: im Schnitt gehen die Menschen früher in Rente, mit 64,6 Jahren (Versichertenbericht der Deutschen Rentenversicherung – externer Link). Wer früher in Rente geht, nimmt Abschläge in Kauf.
Die Union setzt vor allem auf die im Koalitionsvertrag verankerte "Aktivrente". Sie sieht vor, dass bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdient werden können. Derzeit arbeiten 13 Prozent der Rentner im Ruhestand noch weiter – meist weniger Stunden. Das ist EU-Durchschnitt, wie es vom Statistischen Bundesamt heißt. Die Gründe sind vielfältig – der meistgenannte aber mit 33 Prozent: die finanzielle Notwendigkeit.
Weniger Teilzeit – dafür mehr Rente
Sowohl CDU/CSU als auch SPD sehen Reformbedarf bei der Rente – aber mit unterschiedlichen Ansätzen. Kanzler Merz und auch Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) betonen immer wieder, dass es zu viele Teilzeit-Beschäftigte gibt – vor allem unter Frauen. Auch Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas von der SPD will mehr Mütter in Vollzeit bringen, viele von ihnen säßen unfreiwillig "in der Teilzeitfalle".
Die Gründe: fehlende Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen. "Und das sind übrigens überwiegend Frauen, die das leisten", so Bas. Im ersten Quartal dieses Jahres haben 49,1 Prozent der Frauen in Teilzeit gearbeitet, wohingegen die Teilzeitquote bei den Männern nur 11,8 Prozent betrug. Im europaweiten Vergleich hat Deutschland daher Nachholbedarf. Im Koalitionsvertrag versprechen Union und SPD: Wer als Arbeitgeber Beschäftigte mit Prämien dazu motiviert, in Vollzeit zu gehen, wird steuerlich gefördert.
Auch Beamte sollen in die gesetzliche Rentenversicherung
Einen weiteren Vorschlag hat Bärbel Bas ins Spiel gebracht: Eine einheitliche Rentenversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete einzahlen sollen – nach dem Modell in Österreich. Die Union lehnt diesen Vorstoß bislang ab. Der Sachverständigenrat Wirtschaft ist bereits 2024 zum Schluss gekommen: Die Einbeziehung von Beamten steigere zwar kurzfristig Einnahmen, langfristig trage das aber wegen längerer Rentenbezugszeiten kaum zur Lösung bei.
Einigkeit herrscht bei Union und SPD hingegen in der Ablehnung einer Idee des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: der sogenannte "Boomer-Soli". Der Vorschlag sieht vor, dass wohlhabende Rentnerinnen und Rentner der Babyboomer-Generation eine zusätzliche Abgabe leisten – um ärmere Altersgenossen zu entlasten und das System zu stabilisieren.
Regierung setzt auf Renten-Kommission
An Vorschlägen mangelt es nicht – doch die grundlegenden Fragen der Rentenpolitik bleiben bislang ungelöst. Die Regierung setzt auf eine Expertenkommission, die bis spätestens 2027 Reformvorschläge vorlegen soll. Ob dabei auch das Renteneintrittsalter erneut zur Debatte steht, ist offen. Derzeit scheint eine Anhebung politisch kaum durchsetzbar. Wie es mit der Rente weitergeht, hängt auch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Klar ist: Die Diskussion hat gerade erst begonnen – und wird die Politik noch lange beschäftigen.
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