Reservistenverbandschef Patrick Sensburg fordert in einem Interview ein "Massen-Heer" mit rund einer Million Reservisten.
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Soldaten der Bundeswehr

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Reservistenchef: Brauchen "Massen-Heer" zur Verteidigung

Reservistenchef: Brauchen "Massen-Heer" zur Verteidigung

Reservistenverbandschef Sensburg hält ein "Massen-Heer" mit über einer Million Soldaten und Reservisten für notwendig, "um in einem möglichen Krieg zu bestehen". Die Wehrdienst-Pläne von Verteidigungsminister Pistorius hält er für unzureichend.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der Präsident des Reservistenverbands, Patrick Sensburg, hält eine deutliche Aufstockung der Soldaten und Reservekräfte für notwendig, um die Landesverteidigung sicherzustellen. Das sagte Sensburg dem Portal t-online (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) in einem am Samstag veröffentlichten Interview. Er verwies dabei auf Nato-Berechnungen zu einem möglichen Krieg an der Ostflanke.

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Sensburg: Knapp eine Million Reservisten notwendig

Zur Verteidigung Deutschlands in der Fläche würden laut Sensburg 300.000 bis 350.000 aktive Soldaten benötigt. "Die Zahl der Reservisten müsste um das Dreifache sein, also rund knapp eine Million", sagte er. Weiter betonte er: "Dann bin ich wieder fast bei den Zahlen im Kalten Krieg, also wir um 1,2 Millionen hatten. Wir brauchen ein Massen-Heer, um in einem möglichen Krieg zu bestehen."

Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, hatte kürzlich im Interview mit BR24 auch Zahlen genannt, die angesichts der Bedrohung durch Russland gebraucht würden. Demnach fehlten der Bundeswehr derzeit 100.000 aktive Soldaten, die über eine "Art von Wehrdienst" hinzukommen müssten.

Wehrdienst: Kritik an Pistorius-Modell

Sensburg verwies auf Nato-Berechnungen, wonach bei einem möglichen Krieg an der Ostflanke 5.000 Soldaten täglich sterben könnten. "Ich hätte als Soldat in der aktiven Truppe ein schlechtes Gefühl, wenn keine Reservisten in der Nähe wären", sagte er. Der CDU-Politiker Sensburg kritisierte vor diesem Hintergrund das Wehrdienstmodell von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), das im ersten Jahr 5.000 freiwillige Wehrdienstleistende einplant.

Das sei "illusorisch" und eine "viel zu kleine Zahl", sagte Sensburg. "Die Personalnot ist das größte Problem der Bundeswehr, aber die Politik verschließt weiter die Augen." Sie müsse der Bevölkerung vielmehr sagen: "Ohne Wehrpflicht scheitern wir an unseren selbst gesetzten Zielen und würden einen Krieg verlieren." Wenn die neue Regierung nicht zügig handle, gefährde sie die Sicherheit des Landes.

Manche Reservisten nicht auffindbar

Sensburg kritisierte außerdem, dass die Bundeswehr auf eine Vielzahl von Reservisten in Deutschland nicht zugreifen könne. Die Bundeswehr kenne die Namen, könne sie aber nicht kontaktieren, "weil sie nicht weiß, wo sie wohnen". Der Datenschutz verhindere das. Reservistinnen und Reservisten sind überwiegend frühere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die ihren Dienstgrad nicht verloren haben.

Es gibt Befürchtungen, dass Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine in einigen Jahren auch Nato-Gebiet attackieren könnte. Angesichts des unklaren Rückhalts der USA unter Präsident Donald Trump versuchen europäische Staaten nun im Eiltempo, ihre Verteidigungsfähigkeit zu verbessern und massiv aufzurüsten.

Streit über Wehrpflicht

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte dazu der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt), sie halte Pistorius' Vorschlag, einen verpflichtenden Fragebogen über die Bereitschaft zur Musterung an junge Menschen zu verschicken, für einen "Weg, den wir Grüne mitgehen könnten". Sie finde zudem "grundsätzlich, dass alle gesellschaftlichen Aufgaben gleichberechtigt verteilt werden sollten".

"Perspektivisch" könne sie sich das auch für Frauen vorstellen, sagte Dröge auf die Frage, ob dann auch Frauen den Fragebogen verpflichtend beantworten sollten. "Gleichzeitig müssen wir dann aber auch die Gleichstellung in allen anderen Bereichen schaffen, etwa für die Familien- und Pflegezeit", fügte sie an. Einen verpflichtenden Freiheitdienst, den ihre bayerischen Parteifreunde vorgeschlagen hatten, sieht Dröge aber nicht.

Der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn drängte Union und SPD unterdessen zu einer raschen Wiedereinführung der Wehrpflicht. "Unsere Schwäche provoziert unsere Gegner – genau deswegen müssen wir schnellstmöglich aufwuchsfähig werden, auch durch die Reaktivierung der Wehrpflicht", sagte er der "Bild". Deutschland müsse "vom Reden ins Handeln kommen."

Beschaffungsamt: Rüstungsbranche muss Produktion hochfahren

Die Wehrpflicht ist seit mehr als einem Jahrzehnt ausgesetzt. Doch angesichts der Rekrutierungsprobleme bei der Bundeswehr und der deutlich verschärften Bedrohungslage gewinnt die Diskussion um neue Dienstmodelle an Fahrt. Union und SPD wollen sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen - ihre Vorstellungen lagen zuletzt aber deutlich auseinander.

Die Chefin des Beschaffungsamts der Bundeswehr, Annette Lehnigk-Emden, bemängelte ihrerseits eine nur schleppende Ausweitung der Kapazitäten der Rüstungsbranche. Die Firmen müssten mehr tun, um von den überlangen Produktionszeiten wegzukommen, sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Im Video: General Breuer im BR-Interview

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, spricht im BR24-Interview
Bildrechte: BR
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Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, spricht im BR24-Interview

Mit Informationen von AFP

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