Ob Friedrich Merz auch nur im Entferntesten geahnt hat, welche Debatte er mit seiner eher beiläufigen Stadtbild-Äußerung auslösen würde? Anwesende Journalisten hielten den Satz, der vor knapp zwei Wochen bei einer Pressekonferenz in Potsdam fiel, zunächst nicht für berichtenswert. Erst kritische Äußerungen auf Social Media sorgten dann für Aufmerksamkeit.
- Zum Artikel: Merz reagiert auf Kritik an "Stadtbild"-Äußerung
Eine dieser Äußerungen kam von der SPD-Abgeordneten Rasha Nasr. Auf Instagram bezeichnete sie Merz‘ Verbindung von Stadtbild und Migration als "Bullshit-Bingo". Und weiter: "Wer an der Spitze eines Landes steht, der sollte nicht noch mehr Brände befeuern, sondern sie löschen." Nasr gehört nun zu zehn SPD-Abgeordneten, die in einem "Debattenbeitrag" fordern, die Regierungskoalition solle sich bis zum Jahresende "auf ein gemeinsames Verständnis des 'Stadtbilds' verständigen". Beispielsweise durch einen parlamentarischen Beschluss oder einen Gipfel zur "Stadt der Zukunft" im Kanzleramt.
SPD-Papier: Probleme im Stadtbild - aber nicht wegen Migration
In ihrem Text, zu dessen Verfassern auch der Ko-Vorsitzende der BayernSPD, Sebastian Roloff, gehört, gehen die Parlamentarier noch einmal klar auf Konfrontationskurs zum Kanzler: "Ja – es gibt Herausforderungen. Aber Friedrich Merz benennt das falsche Problem." Schwierigkeiten im Stadtbild hätten viele Ursachen. Soziale Missstände werden in dem Papier ebenso genannt wie die Wohnungsnot – nur Migration spielt im Acht-Punkte-Plan der Gruppe keine Rolle.
Die Unions-Fraktion weist den Vorstoß zurück. Der Bundeskanzler habe die Problemlage klar benannt, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Steffen Bilger, eine weitere Erörterung sei nicht nötig. Für Gespräche über "eine noch konsequentere Innenpolitik" stehe man aber jederzeit bereit.
Union: Wer gegen Kanzler demonstriert, beschädigt Regierung
Bereits zuvor hatte sich Fraktionschef Jens Spahn (CDU) über die Teilnahme der SPD-Politikerin Wiebke Esdar an einer Stadtbild-Demonstration in Bielefeld empört. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende hatte dazu ein Foto von sich verbreitet, auf dem auch ein Plakat mit der Aufschrift "Wer das Stadtbild nicht ehrt, ist als Kanzler nichts wert" zu lesen war. Spahn sagte dazu im ARD-Bericht aus Berlin: "Opposition in der Regierung – das hat noch nie funktioniert."
Und Bilger kritisierte gegenüber dem "Tagesspiegel": "Wer als SPD-Führungskraft gegen den Bundeskanzler der gemeinsamen Koalition demonstriert, trägt leichtfertig dazu bei, dass die Menschen uns weniger zutrauen, gut zu regieren."
Eine Debatte aus Themenmangel?
Nun sind in Berlin gerade Herbstferien. Andere Themen sind in der Bundespolitik aktuell Mangelware – man könnte insofern analog zum bekannten "Sommerloch" von einem "Herbstloch-Thema" sprechen. Die Stadtbild-Debatte hat auch politisch nicht die Bedeutung wie beispielsweise die in den kommenden Jahren drohenden Haushaltslöcher – ein Problem, das Regierungen sprengen kann, wie das Scheitern der Ampel-Koalition gezeigt hat.
Das steckt hinter dem Koalitionskonflikt ums Stadtbild
Doch die aktuelle Debatte ist symptomatisch für eine Regierungskoalition, die aus zwei Fraktionen besteht, die sich in vielerlei Hinsicht fremd sind. Schon das Scheitern von Friedrich Merz im ersten Wahlgang deutete auf Unzufriedenheit in den eigenen Reihen. Einige SPD-Abgeordnete hatten Ende Februar auf Anfrage der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung grundsätzliche Bedenken gegenüber einem Kanzler Merz bekundet, darunter Rasha Nasr und Sebastian Roloff.
Es folgten Debatten um die Stromsteuer – hier schossen sich Unions-Politiker auf SPD-Finanzminister Klingbeil ein. Weiter ging es mit der gescheiterten Verfassungsrichterwahl – mit dem Vorwurf mangelnder Verlässlichkeit von Seiten der SPD in Richtung Union. Noch ungeklärt ist, was aus dem Hin und Her in Sachen Wehrdienst wird. Grundsätzlich lässt sich sagen: Während auf Unions-Seite viele nach wie vor mit dem Schuldenpaket hadern und sich eine wirtschaftsfreundlichere Politik wünschen, sorgt sich die SPD-Fraktion mehrheitlich um soziale Errungenschaften.
Dazu kommt: Auch wenn Spitzenpolitiker von Union und SPD oft demonstrativ Gemeinsamkeiten betonen – die Fraktionen sind nicht homogen. Das hat der Vorstoß junger Unions-Abgeordneter zum Rentenpaket von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) gezeigt. Wenn wiederum Unions-Abgeordnete im Bundestag ans Pult gehen, rührt sich in den hinteren Reihen der SPD-Fraktion kaum eine Hand zum Beifall. Hier wirken zum einen Konflikte aus der Zeit der Ampel-Koalition nach, zum anderen spielt die Profilierung angesichts der politischen Konkurrenz von links und rechts außen eine Rolle. Vertrauensbildend ist diese Form des Mit- oder eher: Gegeneinanders in der Koalition aber nicht.
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