Es ist zehn Minuten nach 12 Uhr. Seit zehn Minuten ist Donald Trump wieder US-Präsident. Er steht am 20. Januar auf den Stufen des Kapitols, seinen Amtseid hat er gerade abgelegt, die Nation wartet auf seine Inaugurationsrede.
Gleich mit den ersten drei Sätzen macht Trump klar, in welche Richtung er die Weltmacht führen will: "Von diesem Tag an wird unser Land wieder florieren und weltweit Respekt genießen. Wir werden von allen Nationen beneidet werden und uns nicht länger ausnutzen lassen. Während jedes einzelnen Tages der Trump-Regierung werde ich, einfach ausgedrückt, Amerika an erste Stelle setzen."
Und genau diese Maxime setzt Trump um. Viele US-Verbündete werden auf dem falschen Fuß erwischt, können zunächst nicht glauben, dass die Ära der "Pax Americana" am 20. Januar 2025 zu Ende gegangen ist. Hatten nicht in den vergangenen 80 Jahren mehr oder weniger alle US-Präsidenten daran festgehalten, enge Verbündete zu verteidigen, Gegner abzuschrecken, internationale Institutionen, Regeln und Gesetze aufrechtzuerhalten? Donald Trump macht damit Schluss.
Trumps Kabinett folgt uneingeschränkt "America First"
Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit von Januar 2017 bis Januar 2021 wählte Trump dieses Mal Kabinettsmitglieder aus, die seinen Blick auf die Welt vorbehaltlos teilten, wie Vize-Präsident J.D. Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth oder Handelsminister Howard Lutnick.
Die Gedankenwelt: Bündnisse seien eine unnötige Belastung für den amerikanischen Steuerzahler. Mit Diktatoren und Autokraten ließe sich einfacher umgehen als mit demokratischen Staats- und Regierungschefs. Das internationale Handelssystem sei unfair, benachteilige nur die Vereinigten Staaten. Die USA könnten sich ohne die Hilfe anderer Länder ausreichend verteidigen. Großmächte sollten das Recht haben, ihre kleineren Nachbarn zu dominieren und auch neue Gebiete zu erwerben, sollten die in ihrem Interesse liegen.
Das Ergebnis, so analysiert die Fachzeitschrift "Foreign Affairs" zutreffend: Die Nachkriegsordnung, "die sich hauptsächlich um demokratische Verbündete drehte, die in Sicherheits- und Verteidigungsfragen auf die Vereinigten Staaten angewiesen waren, gibt es nicht mehr".
Wie Alliierte in Europa und Asien reagieren
Mit der Geschwindigkeit, mit der US-Präsident Trump den abrupten Kurswechsel mit seinem Credo "America First" eingeschlagen hat, können die bisherigen Verbündeten Washingtons in Europa und Asien nicht Schritt halten. Sie setzten lange Zeit den Schutzschirm Amerikas als konstante Garantie für Frieden und Wohlstand voraus und vernachlässigten dabei die eigenen Verteidigungskapazitäten.
Dass die USA unter Trump 2.0. die Ukraine-Unterstützung einstellen und amerikanische Rüstungsgüter nur noch gegen europäisches Bares nach Kiew liefern, überstieg das Vorstellungsvermögen der europäischen Nato-Partner. Eiligst kamen sie der Forderung Trumps nach, ihre Wehretats bis 2035 massiv auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Mit einer Mischung aus beständiger Schmeichelei und flexiblem Entgegenkommen versuchen die europäischen Nato-Länder sowie Japan und Südkorea, den Amtsinhaber im Weißen Haus zu besänftigen.
Eine andere sicherheitspolitische Option haben sie bislang nicht. Deshalb verbietet es sich auch für sie, sich den handelspolitischen Übergriffen Washingtons entgegenzustellen: Lieber auf Zeit spielen und den wankelmütigen US-Präsidenten halbwegs im eigenen Lager behalten, als durch eine offene Konfrontation mit Trump über die einseitig verhängten Zölle den löchrig gewordenen amerikanischen Schutzschirm zu verlieren.
Drei weitere Jahre Trump
Die Vereinigten Staaten würden auch in den kommenden Jahren ein wichtiger Partner bleiben, argumentieren zwei ehemalige Außen- und Sicherheitsexperten der Biden-Administration in "Foreign Affairs". Die bisherigen Verbündeten der USA könnten allerdings nicht mehr darauf zählen, dass die Vereinigten Staaten erhebliche Ressourcen für ihre Verteidigung oder die Verteidigung der Weltordnung aufwenden würden. "Der Plan A der Verbündeten sollte darin bestehen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um so viel praktische Zusammenarbeit wie möglich aufrechtzuerhalten". Es wäre jedoch "gefährlich und unverantwortlich", keinen Plan B zu haben.
Fest steht: Eine Rückkehr Amerikas zu den alten guten Zeiten, geprägt von Bündnistreue und Verlässlichkeit Washingtons, wird es unter Donald Trump nicht geben. Und auch die Hoffnung, die in so manchen europäischen Hauptstädten kursiert, dass nach der Trump-Präsidentschaft der nächste Amtsinhaber von der "America First"-Doktrin abrücken würde, ist äußerst trügerisch.
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