Die Wahl dreier Verfassungsrichter im Bundestag wurde vertagt. Aufgrund eines Plagiatsvorwurfs gegen die SPD-Kandidatin, Frauke Brosius-Gersdorf, hinter dem aktuell noch viele Fragezeichen stehen, wird vorerst über keinen der vorgeschlagenen Kandidaten abgestimmt. Der Bundestag fasste einen entsprechenden Beschluss mit den Stimmen von Linken, Grünen, SPD und Union. Die AfD stimmte dagegen.
Die Regierungsfraktionen Union und SPD hatten zuvor im Bundestag beantragt, alle am Freitag geplanten Wahlen für Richter beim Bundesverfassungsgericht abzusetzen. Auch die Grünen hatten demnach in einem eigenen Antrag verlangt, die Richterwahlen von der Tagesordnung zu nehmen. Die Mehrheiten galten selbst kurz vor den Wahlen als ungewiss.
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Erklärstück: So werden Verfassungsrichter gewählt
Lange Unterbrechung vor geplatzter Richterwahl
Zuvor war die Sitzung mehr als eine Stunde unterbrochen. Grund war, dass die Union Vorbehalte gegen die Juristin Brosius-Gersdorf vorgebracht und verlangt hatte, ihre Wahl abzusetzen.
Der Bundestag sollte am Freitag eigentlich über die Neubesetzung dreier frei werdender Stellen beim Bundesverfassungsgericht befinden. Die Union schickte den bisherigen Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, ins Rennen. Die SPD hatte neben Brosius-Gersdorf auch Ann-Katrin Kaufhold nominiert.
Gegen Brosius-Gersdorf gibt es schon seit Tagen massive Vorbehalte bei CDU und CSU. Konkret geht es um die Haltung der Richterin zum Thema Abtreibung – denn aus Sicht von Brosius-Gersdorf gebe es gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gilt.
In der Unionsfraktion sei die Zahl der Abgeordneten, die wegen der Personalie Brosius-Gersdorf Gesprächsbedarf, schwere Bedenken oder ein klares Nein zur Wahl signalisiert hätten, in den vergangenen Tagen auf über 50 gestiegen, war aus Kreisen der Unionsfraktion zu hören.
Plagiatsvorwürfe bringen zusätzliche Brisanz
Am Freitag verwies die Union auch auf angebliche Plagiatsvorwürfe. Der österreichische Plagiatssucher Stefan Weber hatte am Donnerstagabend entsprechende Vorwürfe veröffentlicht. Auf Nachfrage sagte er der Deutschen Presse-Agentur, er habe die Prüfung ohne Auftraggeber vorgenommen. Eine Software habe Übereinstimmungen bei der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns gefunden.
Weber ist allerdings in Fachkreisen umstritten. So erwiesen sich in der Vergangenheit einige seiner Vorwürfe als unbegründet.
Reichinnek: Union sinkt tief
Kritik am Vorgang kam von der Opposition. Die Wähler würden die Union abstrafen, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann. Die Vorsitzende der Linksfraktion, Heidi Reichinnek, sagte an Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) gewandt: "Immer wenn man denkt, die Union kann nicht mehr tiefer sinken, kommen Sie, Herr Spahn, und packen Ihre Schaufel aus."
Auch die SPD zeigte sich vor allem über Unionsfraktionschef Jens Spahn verärgert, da die Personalien im Vorfeld abgestimmt gewesen seien: "Führung und Verantwortung sind nichts für Sonntagsreden", sagte Parteichef Lars Klingbeil.
Grüne: Ein "Desaster" für das Parlament
Dirk Wiese, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, sprach von einer Hetzjagd. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann attackierte insbesondere CDU-Fraktionschef Spahn. Die Fraktion "läuft ihm davon und auch dem Kanzler". Sie sagte auch: "Dieser Tag heute ist ein Desaster für das Parlament, ist vor allen Dingen ein Desaster für Jens Spahn und Friedrich Merz und mit ihnen die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD."
Der Richterwahlausschuss habe mit Zweidrittelmehrheit die drei Kandidatinnen und Kandidaten von Union und SPD gewählt und dem Plenum des Bundestags vorgelegt. Spahn habe auch zusammen mit SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bei den Grünen für die drei Vorschläge geworben.
Nach der gescheiterten Wahl sieht Miersch keine Veranlassung, nach anderen Kandidaten Ausschau zu halten. "Für mich ist klar: Wir halten an unseren Kandidatinnen fest", erklärte Miersch am Freitag. "Ich erwarte, dass die Mehrheit steht."
Miersch: Plagiatsvorwürfe entbehren sachgerechter Grundlage
Miersch betonte, dass die Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf als Grund für deren Ablehnung "meiner Auffassung nach jeder sachgerechten Grundlage" entbehrten. Miersch sprach von einer "beispiellosen Schmutzkampagne" gegen Brosius-Gersdorf. "Was wir heute (...) erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen. Das ist brandgefährlich."
Mit Informationen von AFP und dpa
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