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Die leere, dunkle Gasse hinter einem Bahnhof sorgt bei BR24-User "Tusy" zwar schon für einen "Gruselfaktor". Beim Thema Sicherheitsgefühl sei das Hauptproblem aber für ihn, dass einem womöglich niemand helfe, wenn man Hilfe braucht. Zu einem Bericht über ein sinkendes Sicherheitsgefühl schrieb er kürzlich in der Kommentarspalte, dass es ihn wütend mache und erst richtig hilflos, "(...) unter Leuten zu sein, die nicht helfen, wegschauen und eher noch das Handy zücken, um dann irgendwo damit anzugeben".
Es ist das Stichwort Zivilcourage: Die Bereitschaft, jemandem zu helfen, der in Not ist – und das unter Umständen, die für einen selbst unangenehm sind oder gar Gefahr bedeuten können. Und es ist die Frage, ob die Allgegenwärtigkeit des Smartphones etwas am zivilcouragierten Verhalten verändert.
Notsituation durch Handy nicht bemerkt
Grundsätzlich sehen auch Experten die Gefahr, dass das Handy Menschen zu stark ablenken kann. Harald Damskis, Zivilcourage-Trainer bei "Zivilcourage für alle e.V." in München, verweist auf ein Fünf-Stufen-Modell aus der Wissenschaft (externer Link, Seite 15): Demnach muss jemand, um zu helfen, zunächst einmal erkennen, dass ein Ereignis vorliegt. "Die Tatsache, dass viele, in der U-Bahn auf ihr Handy starren, ist der erste Grund dafür, dass keine Hilfeleistung passiert, weil sie abgelenkt sind. Sie bemerken gar nicht, dass etwas da ist", so Damskis. Jedoch sei dies auch nicht ganz neu: "Was haben die Leute früher gemacht? Sie haben Zeitung gelesen."
Deswegen appelliert die Polizei, auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln aufmerksam zu sein: Am besten an Haltestellen kurz vom Handy hochgucken und schauen, wer mit in der Bahn sitzt, wer einsteigt, wer aussteigt, rät Lisa Schmidbauer, Polizeiinspektorin in München beim Kommissariat 105 für Opferschutz. Wenn man dann merke, es bahnt sich eine hitzige Diskussion an, lieber den Ton der Kopfhörer ausschalten und hören, in welche Richtung das Konfliktgespräch geht.
Polizeiinspektorin: "Es wird viel geholfen"
"Insgesamt kann man schon sagen, dass viel geholfen und Zivilcourage gezeigt wird", sagt Schmidbauer. "Zu Zivilcourage gehört auch, einfach den Notruf zu wählen. Und dadurch, dass mittlerweile eigentlich jeder ein Handy bei sich hat, machen wir schon die Erfahrung, dass oft von unbeteiligten Passanten oder Zeugen der Notruf gewählt wird."
Ähnlich formulierte es BR24-User "Buerger1000" auf den obigen Ausgangskommentar hin: "Es kommt natürlich auch auf die Situation an. Den Notruf kann jeder wählen."
Außerdem kann der Blick ins Internet über das Smartphone die Unsicherheit minimieren, wie das doch gleich mit der stabilen Seitenlage war. Apps etwa vom Roten Kreuz, Malteser-Hilfsdienst oder Arbeiter-Samariter-Bund helfen.
Manche überlegen vielleicht auch, Situationen zu filmen, um Beweise zu haben. Schmidbauer aber warnt davor, im Konflikt-Fall einen Täter mit dem Handy zu provozieren: "Da sollte man aufpassen. Generell ist es nicht förderlich, bei irgendeiner brenzlichen Situation das Handy draufzuhalten."
Wie richtig eingreifen?
BR24-Userin "teilchen" betonte noch, wenn es ums Eingreifen geht: "(...) Man muss nur wissen, wie, um sich nicht selbst in solchen Situationen in Gefahr zu bringen."
Zivilcourage-Trainer Damskis, der bei "Zivilcourage für alle e.V." kostenlose Kurse anbietet, sagt: Der größte Fehler, der immer wieder gemacht werde, sei, dass man "aus dem Gefühl heraus, helfen zu wollen oder helfen zu müssen, auf den Täter losgeht. Aber das ist genau das Verkehrte." Vielmehr müsse man Aufmerksamkeit für die Situation schaffen, sich Verbündete suchen, unter Umständen die Polizei rufen und versuchen, das Opfer aus der Situation herauszuholen. Entsprechende Trainings bieten auch Polizeiinspektionen an.
Warum das Gefühl beim Einzelnen vorherrscht, dass andere nicht helfen, kann verschiedene Ursachen haben, meint Schmidbauer. Beispielsweise abgeleitet aus der eigenen Unsicherheit, wie man Zivilcourage zeigt, oder teilweise durch schlechte Erfahrungen. Aber auch durch die mediale Darstellung.
"Die öffentliche Wahrnehmung und das Unsicherheitsgefühl ist etwas, über das gerne geredet wird", bemerkt Damskis. Über Zivilcourage im Alltag werde medial seltener berichtet. "Aber wenn jemand zu Tode gekommen ist, weil er Zivilcourage gezeigt hat, aber möglicherweise auch nicht alles richtig gemacht hat, dann ist das etwas, was nicht nur in der Presse, sondern auch in der Wissenschaft diskutiert wird."
Damskis glaubt, der Eindrücke trüge, dass Menschen nicht helfen würden. Zahlen zu Zivilcourage sind zwar schwierig zu erheben, aber es gibt zum Beispiel eine Studie (externer Link) von 2020. Diese wertete über 200 Videokamera-Aufzeichnungen im Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Südafrika aus – Länder, die sich hinsichtlich der wahrgenommenen öffentlichen Sicherheit stark unterschieden. Das Ergebnis: In neun von zehn öffentlichen Konflikten unternahm mindestens ein Umstehender, in der Regel mehrere, etwas, um zu helfen.
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