Im Jahr 1996 gab es in China auf einer Gänsefarm den ersten Ausbruch der Vogelgrippe. Seit 2010 haben wir in Deutschland mit mit dem H5N1-Virus zu tun. Damals wurde es in einem Geflügelbetrieb in Mecklenburg-Vorpommern entdeckt. Seitdem waren es eher saisonales Ereignisse, dass infizierte Wildvögel in Deutschland entdeckt wurden und auch vereinzelt landwirtschaftliche Betriebe von Ansteckungen betroffen waren.
Vogelgrippe-Viren breiten sich weltweit aus - auch in Rindern
Mittlerweile grassiert die Vogelgrippe ganzjährig auf der ganzen Welt: "Diese infizierten Vögel haben Sie wahrscheinlich in München, wir haben sie in Freiburg. Sie sind überall, und das ist insgesamt eine schwierige Situation", sagt der Freiburger Virologe Martin Schwemmle in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk am 12. Dezember 2024.
Inzwischen greift das Virus auch auf Rinder über: Die USA haben Frühjahr 2024 mit einem Ausbruch bei Milchkühen zu kämpfen. Derzeit (Stand 13.12.2024) sind rund 800 landwirtschaftliche Betriebe in den USA betroffen. Martin Schwemmle: "Es gibt neue Fälle in Kalifornien. Der Ausbruch ist noch nicht unter Kontrolle, und das könnte schwierig werden." In Deutschland sei das anders, sagt der Leiter des Friedrich-Löffler-Instituts auf der Insel Riems, Martin Beer: "Wir haben die Problematik beim Rind in Europa überhaupt nicht. In Deutschland gibt es keine Hinweise auf infizierte Rinder."
58 Menschen sind in den USA nach offiziellen Angaben des Centers for Disease Control and Prevention (externer Link) von einer Ansteckung mit H5N1 betroffen. 35 von ihnen haben sich bei Milchkühen als Überträgerinnen infiziert. "In den USA gibt bei Geflügel und Rind sehr hohe Zahlen. Deshalb ist der Virusdruck hoch. Somit gibt es in den USA immer wieder Überträge auf den Menschen, bei uns aber nicht", so Martin Beer.
Übertragung von H5N1 auf den Menschen nur eine Mutation entfernt
Vogelgrippe-Viren sollten eigentlich nicht in die Zellen anderer Lebewesen eindringen können. Sie haben auf der Virushülle sogenannte Rezeptoren, die speziell auf Vögel ausgerichtet sind. Aber diese Rezeptoren sind wandlungsfähig. Das erklärt, warum das Virus von Vögeln auf andere Tiergattungen und in seltenen Fällen auch auf den Menschen übergehen kann.
Im Labor haben US-Forscher erstaunlich wenig an den Rezeptoren verändern müssen, damit Vogelgrippe-Viren auch in menschliche Zellen vorrücken können. Eine einzige Mutation reicht aus: "Das ist natürlich schon ein Alarmzeichen. Dass es nur eine Aminosäure ist, das ist wirklich neu und überraschend", so Martin Schwemmle. Dann wird aus einem vogelspezifischen Rezeptor ein humaner Rezeptor. "In der Natur könnte das Auftreten dieser einzelnen Mutation ein Indikator für das Pandemierisiko beim Menschen sein", heißt es in der US-Studie, die am 5. Dezember 2024 in Science (externer Link) veröffentlicht wurde.
Gefahr für die Bevölkerung ist derzeit gering
Im Labor funktioniert die Veränderung des Rezeptors sehr einfach. Im wirklichen Leben aber stecken sich Menschen nur selten mit Vogelgrippe-Viren an – nur, wenn der Kontakt zu Wildtieren sehr eng ist. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wurden seit 2003 weltweit über 2.600 humane Erkrankungen und 1.100 Todesfälle mit aviärer Influenza nachgewiesen. In den USA wurde im November 2024 die erste Infektion eines Kindes mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1 festgestellt.
Wirklich gefährlich würde es dann, wenn sich H5N1-Viren leicht von Mensch zu Mensch übertragen ließen: "Das ist eine ganz andere Sache. Da reicht sehr wahrscheinlich diese einzelne Aminosäure nicht aus, um das alles zu erreichen. Das Virus muss mehr können", beruhigt Martin Schwemmle. "Wir haben noch kein Virus, das sich vollständig angepasst hat," ergänzt Martin Beer.
Also gilt erstmal vorsichtige Entwarnung. Aber je mehr Lebewesen auf der Welt von H5N1 infiziert sind, desto mehr Mutationen passieren. Damit steigt die Gefahr, dass sich auch Übertragungswege zwischen Menschen vereinfachen könnten. Martin Beer empfiehlt US-Farmern, "Schutzkleidung zu tragen und sich gegen die saisonale Grippe impfen zu lassen, damit es im menschlichen Körper zu keiner Vermischung von humanen und Vogelgrippe-Viren kommen kann".
Außerdem gibt es Impfstoffe gegen Vogelgrippe-Viren. Da die Übertragung von Mensch-zu-Mensch aber bisher als sehr unwahrscheinlich eingestuft wird, kommen diese Impfstoffe nicht zur Anwendung. Leif Erik Sander von der Berliner Charité: "Wir haben Impfstoffe, die zugelassen sind, die in dem Moment, in dem ein Virus eine Pandemie auslöst, sehr schnell angepasst werden könnten."
Diesen Artikel haben wir erweitert und am 13.12.2024 um 15:58 Uhr neu veröffentlicht.
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