Für den Fall, dass Deutschland bedroht oder angegriffen wird, gibt es Notstandsgesetze. Mit deren Hilfe soll die Notlage wieder überwunden werden. Was gilt in einem "Spannungsfall" – und was ist das überhaupt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- Zum Artikel: Was passiert, wenn Deutschland im Krieg ist?
Wann tritt der Spannungsfall ein?
"Der Gedanke ist, dass der Spannungsfall eine Vorstufe zum Verteidigungsfall ist", sagt Peter M. Huber, emeritierter Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Verteidigungsfall liege nach dem Grundgesetz dann vor, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen werde. "Bevor das passiert und wenn eine bedrohliche Situation existiert, regelt der Artikel 80a den Spannungsfall – ohne genau zu sagen, was der Spannungsfall ist." Das sei eine Einschätzung des Bundestages. "Man kann davon ausgehen, dass wenn zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten der Meinung sind, dass es zum Krieg kommen könnte oder wir uns in einer Situation befinden, die eskalieren kann, dies nicht leichtfertig geschieht." Aber die Voraussetzungen des Spannungsfalls seien nicht definiert, man setze auf eine verfahrensrechtliche Sicherung.
Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die nicht definierte Voraussetzung für den Spannungsfall so (externer Link): "Es muss jedenfalls die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich eine außenpolitisch schwierige Lage zu einem bewaffneten Angriff verdichten könnte." Während der Spannungsfall allein durch die Zweidrittelmehrheit im Bundestag festgestellt wird, ist zur Feststellung eines Verteidigungsfalles auch die Zustimmung des Bundesrats nötig.
Was bedeutet der Spannungsfall?
Wenn der Spannungsfall festgestellt werden würde, könnten Maßnahmen ergriffen werden, um die Wehrfähigkeit Deutschlands zu verbessern. Die Wehrpflicht, die seit 2011 ruht, würde wieder in Kraft treten. Zudem gibt es "Sicherstellungsgesetze", die nur für die Bewältigung von Gefahrenlagen vorgesehen sind. Auf deren Grundlage können zahlreiche Maßnahmen getroffen werden: "von der Sicherstellung von Arbeitskräften über die Zurverfügungstellung von Gütern bis zur Lebensmittel- und Energieversorgung", wie Huber zusammenfasst.
So könnten zum Beispiel Fuhrparks ganz oder teilweise für das Technische Hilfswerk oder die Bundeswehr "requiriert" werden. Auch Produktionsauflagen im Bereich der Rüstung seien denkbar. Dabei handele es sich um sogenannte "einfachgesetzliche Ermächtigungen", die ihrerseits verfassungsmäßig sein müssen.
Was heißt das für die Bundeswehr?
"Aber auch die Einsatzmöglichkeiten für die Bundeswehr im Inneren werden mit dem Spannungsfall nach Artikel 87a Absatz 3 des Grundgesetzes erweitert", erläutert Huber. Soldaten können dann zum Beispiel für den Schutz ziviler Objekte eingesetzt werden und dürfen den Verkehr regeln, falls das für ihre Aufgaben notwendig ist.
"Der Spannungsfall dient der Mobilmachung", erklärt ein Sprecher des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr. Notstandsgesetze würden der Versorgung von Bevölkerung und Streitkräften in einer Krisenlage dienen. Im Spannungsfall gelte die Wehrpflicht für Männer ab 18 Jahren, die dann – wie auch im Verteidigungsfall – unbefristet einberufen werden können.
Werden Freiheiten eingeschränkt?
Natürlich würde auch die Verwaltung zu Eingriffen in die Freiheiten der Bürger ermächtigt, so der Jura-Professor. Aber im Grunde stelle jede Verkehrsgeschwindigkeitsbeschränkung eine Freiheitsbeschränkung dar. "Die Schwere der Eingriffe, um die es hier geht, ist erheblich. Aber sie müssen immer verhältnismäßig sein", erklärt Huber. Das heißt, dass man die Maßnahmen wirklich brauche, es keine anderen Möglichkeiten und keine milderen Mittel gebe. "Die grundlegenden Garantien der Verfassung werden durch den Spannungsfall nicht ausgehebelt."
Anders im Verteidigungsfall – "hier gibt es weitreichende Eingriffe in das Verfassungsgefüge", stellt Huber fest. So würde unter anderem der Oberbefehl über die Bundeswehr auf den Kanzler übergehen. Bundestag und Bundesrat würden im sogenannten "Gemeinsamen Ausschuss" zu einem Rumpfparlament schrumpfen. "Und im Verteidigungsfall kann auch in die Rechte der Bürger viel weiter eingegriffen werden." Da gebe es aber auch die direkte militärische Auseinandersetzung.
Wie ein früherer Bayern-2-Beitrag zu den Notstandsgesetzen dargelegt, können im Verteidigungsfall unter bestimmten Voraussetzungen Grundrechte wie die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sowie die Freiheit, sich dort in Deutschland aufzuhalten oder zu wohnen, wo man möchte, eingeschränkt werden.
Wurde der Spannungsfall schon einmal festgestellt?
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es bisher weder einen Spannungs- noch einen Verteidigungsfall. Die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages greift erst bei einem Angriff auf das Bündnisgebiet.
Im Video: Was passiert, wenn Deutschland im Krieg ist? Possoch klärt!
Sicherheitsexperte Gehringer: "Bis zu 800.000 Soldaten könnten im Ernstfall durch Deutschland transportiert werden."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

