"Who are we? What are we? Are we intrinsically good or evil? I think anybody’s capable of evil… – Wer sind wir? Was sind wir? Sind wir von Natur aus gut oder böse? Ich glaube, jeder Mensch ist zu Bösem fähig...". Das sagt Martin Scorsese in der Doku-Serie "Mr. Scorsese". Er sei immer fasziniert von der dunklen Seite des Menschen gewesen. Seine Helden: Gangster, Aussteiger, Underdogs, die es allen beweisen wollen.
Der Held aus der Doku "Mr. Scorsese" ist wie die Helden in den Filmen von Mr. Scorsese, eigentlich ein Anti-Held – und dennoch sympathisch und nahbar. Natürlich macht er sich sogar diese Geschichte über ihn zu eigen – ganz der Kontrollfreak und manische Arbeiter, der er ist – und erzählt sie einfach größtenteils selbst. Und natürlich ist das – wie seine Filme – turbulent, klug, witzig, außergewöhnlich und extrem unterhaltsam.
Dem Anti-Helden ein Denkmal gesetzt
Er habe von Kindheit an gewusst, dass er Filme machen müsse, sich so ausdrücken könne, aber da, wo er herkomme, mache keiner Filme, sagt der in Little Italy / New York aufgewachsene Scorsese. Die Mafia, Kleinganoven und Schießereien waren nur einen Block entfernt. Während andere sich eine Waffe zulegten, wollte er aber immer nur eine Kamera.
In "GoodFellas", "Casino" oder "King of Comedy" hat er seiner Herkunft, den Anti-Helden, ein Denkmal gesetzt. Und das auch noch mit einem Partner, der aus der gleichen Gegend kam und mit dem Scorsese – anders als mit seinen vier geschiedenen Frauen – ein Leben lang zusammenbleiben sollte: Robert de Niro.
Archivfoto von Helen Morris: Martin Scorsese und Francesca Scorsese in "Mr. Scorsese", jetzt auf Apple TV+.
Skandale und "Bad Boy"-Image
"Taxi Driver" oder "Die letzte Versuchung Christi" waren in den USA Filmskandale, hatten Folgen bis weit über die Kinoleinwand hinaus. Scorsese, "der Antichrist", bekam Morddrohungen, ein Kino wurde angezündet und Attentäter John Hinckley, der US-Präsident Ronald Reagan ermorden wollte, nannte Taxidriver Travis Bickle als Vorbild.
Damals litt Scorsese unter dem "Bad Boy"-Image, rutschte zeitweise in die Drogensucht ab, wäre im Krankenhaus fast an einer Blutvergiftung gestorben und tobte immer wieder am Set, wo er seinen "Boys Club" um sich versammelte.
Heute kokettiert er damit, stilisiert sich zum Hollywood-Außenseiter. Dabei ist er sichtlich froh, dass er 2007 nach sieben erfolglosen Nominierungen doch noch den Oscar erhielt: für "The Departed".
Fünf Stunden Doku selbst erzählt
Scorseses Leben bietet locker Stoff für fünf unterhaltsame Stunden Film. Die Doku schafft es dabei, hervorragend Biografisches mit Kino- und Zeitgeschichtlichem zu verbinden. Zahlreiche Weggefährten – de Niro, di Caprio, Spielberg, Ex-Frauen, Töchter und Kindheitsfreunde – kommen zu Wort. Die Abgründe und dunkeln Seiten seiner Person will Scorsese gerade nicht verstecken. Deswegen funktioniert es auch, dass er die Doku größtenteils selbst erzählt. Er war lange kein guter Vater, kein guter Ehemann, sondern ein Getriebener und Egomane, der alles seinen Filmen unterordnete.
Keine Frage, wir Zuschauer müssen ihm dafür dankbar sein. Und nicht zuletzt er selbst macht heute mit 82 Jahren den Eindruck, als sei er mit sich im Reinen und milder geworden. Ja, der Underdog hat es allen bewiesen.
"Mr. Scorsese" ist ab sofort auf Apple TV+ abrufbar.
Archivfoto von Leonardo DiCaprio und Martin Scorsese am Set von "The Aviator".
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!


