Um seine eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten, schlüpft Fotograf Rafael Goldchain in die Rolle seiner Verwandten, die zum Teil im Holocaust ermordet worden sind. Er inszeniert sich als Rabbiner mit Locken, als Musiker mit Klarinette, als Braut mit Schleier. Seine Selbst-Portraits sind jetzt im Jüdischen Museum in München zu sehen. Zum ersten Mal zeigt eine Ausstellung die Perspektive der Enkel von Holocaustüberlebenden auf ihr schweres Familienerbe.
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Ulrike Heikaus hat die Ausstellung "Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis" kuratiert. Sie sagt: "Die Enkel haben oftmals einen ganz anderen Blick auf das Verfolgungsschicksal und merken, dass es immer noch für sie eine Rolle spielt. Beide Generationen können sich die Hand reichen und schauen, wie das für die jeweilige Generation verarbeitbar ist." Denn Mord, Verzweiflung, Flucht, der Verlust der Familie in der Shoah – all das lebt in den Kindern und Enkeln weiter, bewusst und unbewusst.
Der Wald als Zufluchtsort und Versteck für verfolgte Juden
Auch die Münchnerin Ilana Lewitan kennt das seelische Leid ihrer Eltern, die den Holocaust überlebt haben. Wenn sie an ihre Kindheit zurückdenke, dann erinnere sie sich an gemeinsame Spaziergänge mit ihrem Vater im Wald. Dabei habe der Vater, Robert Schmusch, seiner Tochter ein Geheimnis verraten: Er hatte sich auf der Flucht vor den Nazis im Wald versteckt.
Für Tochter Ilana Lewitan ist der Wald deshalb ein Zufluchtsort. "Er ist abenteuerlich und mutig geflohen nach dem Warschauer Aufstand, war dann auf dem Weg nach Otwock, wo er sich eine Zeit lang versteckt hat. Ich weiß nicht, wie lange er sich im Wald versteckt hat, aber das war das Einzige, was er mir von damals erzählt hat", erinnert sich Ilana Lewitan.
Die Geschichte ihres Vaters hat sie erst viel später erfahren, nach seinem Tod. Sie begibt sich daraufhin auf Spurensuche nach Warschau und die Umgebung. Diese Erfahrung verarbeitet die Künstlerin jetzt in ihren Gemälden. Drei davon sind in der Ausstellung im Jüdischen Museum München zu sehen: Durch die Stämme der Birken fällt Licht auf den Betrachter, die Grundfarben sind violett, gelb und grün. Der Waldboden läuft über den Rahmen hinaus – bildlich gesprochen läuft der er in die Gegenwart hinein.
Die Ausstellung "Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis" befindet sich im Jüdischen Museum in München.
Museumsobjekte bringen Familien zusammen
Die Ausstellung "Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis" wurde zuvor in Wien gezeigt. In München wurde sie nun um Exponate aus Bayerischen Museen ergänzt, zum Beispiel um silberne Löffel und einen Silberleuchter.
"In dem Fall sind das Silberobjekte, die 1939 von jüdischen Familien zwangsabgegeben werden mussten. Und jetzt werden diese Objekte rückgeführt in das Museum. Man hat herausgefunden, wem sie eigentlich gehörten und ob und wo Verwandte von ihnen noch leben. Und diese Familien haben sich dadurch dann oftmals erstmalig wieder getroffen", sagt Kuratorin Ulrike Holtaus. Mit dem Ableben der Zeitzeugen werden solche Objekte zukünftig immer wichtiger, um die Geschichte der Shoah zu vergegenwärtigen.
Die Ausstellung "Die Dritte Generation" ist noch bis März 2026 im Jüdischen Museum München zu sehen.
Im Video: Jüdisches Museum München - Ausstellung "Die Dritte Generation"
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