Was passiert, wenn ehemalige russische Soldaten aus ihrem Kriegseinsatz zurück in ihre Dörfer und Städte kommen? "Wenn solche Menschen in ihre Heimat zurückkehren, ist ein Zusammenstoß mit der Realität – Armut, Perspektivlosigkeit, soziale Verwundbarkeit – unvermeidlich. Dann riskiert der Staat, sich eine ganze Schicht enttäuschter, aggressiver, bewaffneter und suizidgefährdeter Männer einzuhandeln, die sich selbst ihre Chance suchen", befürchtet ein russischer Polit-Blogger [externer Link]. Es drohe eine "Welle der Gewalt", prognostiziert der Blogger, und eine Explosion der Kriminalität wie nach dem Afghanistankrieg.
Grund für diese Analyse: Die britische Nachrichtenagentur Reuters hatte unter Berufung auf "drei Quellen aus dem Umfeld des Kremls" berichtet [externer Link], dass die Bedenken hinsichtlich der Zukunft der Veteranen "bis ganz nach oben" reichten: Präsident Wladimir Putin sieht demnach in der Aussicht auf eine massenhafte Rückkehr von Armeeangehörigen "ein potenzielles Risiko, das er sorgfältig steuern will, um eine Destabilisierung der Gesellschaft und des von ihm aufgebauten politischen Systems zu vermeiden."
"Kann Zwietracht verstärken"
Rund 1,5 Millionen russische Männer und Frauen haben nach Angaben des britischen Experten Mark Galeotti bis Anfang des Jahres am Kriegsgeschehen teilgenommen, so Reuters. Ein Gewährsmann aus dem Kreml wird mit den Worten zitiert: "Viele derjenigen, die ins Zivilleben zurückkehren, werden nie wieder annähernd so hohe Gehälter verdienen wie heute, was zu Unzufriedenheit führen wird."
Eine ähnliche Bestandsaufnahme wie Reuters hatte das exilrussische Portal "The Insider" bereits im vergangenen April vorgelegt [externer Link]: "Die Wahrscheinlichkeit, dass die von der Front zurückgekehrten Menschen im modernen Russland zu einer verlorenen Generation werden, ist hoch."
Der Kreml stehe vor einem Dilemma: "Da weder die staatlichen Unternehmen noch der öffentliche Dienst über genügend offene Stellen verfügen, um alle Ex-Soldaten zu beschäftigen, besteht die einzige Möglichkeit, sie zu unterstützen, darin, ihnen verschiedene Vergünstigungen zu gewähren. Das kann jedoch die Zwietracht zwischen Militär und Zivilisten nur noch verstärken."
"Viele werden Sibirier werden"
Angesichts dieser Risiken meldete sich der russische Politologe und Propagandist Sergej Karaganow zu Wort, der sich mit seiner Nähe zu Putin brüstet. Er schrieb in einem Zeitungsartikel [externer Link]: "Die Kämpfer, die aus dem Krieg mit dem Westen in der Ukraine zurückkehren, sollten nicht nur die Führungsschicht auffüllen, sondern auch vielversprechende, hochqualifizierte und gut bezahlte Jobs beim Aufbau neuer Infrastruktur in Sibirien bekommen. Viele von ihnen werden dort bleiben und Sibirier werden, wie es beim Bau der Transsibirischen Eisenbahn und der Baikal-Amur-Magistrale der Fall war."
Peter Jungblut
Damit handelte sich Karaganow sehr kritische Reaktionen ein. So meinte der Polit-Blogger Juri Dolgoruki [externer Link]: "Die Umsetzung des 'Karaganow'-Projekts zur Entwicklung der Ostgebiete erfordert objektiv die Schaffung harter, autoritärer, wenn nicht gar totalitärer Verwaltungsstrukturen. Ist unsere Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten weitgehend liberalisiert wurde, bereit für solch archaische Steuerungsinstrumente?"
"Sibirien ist ein Abenteuer"
Politologe Andrei Kalitin spottete [externer Link]: "Die den Freiwilligen versprochenen sozialen Aufzüge werden, falls sie sich denn überhaupt in Bewegung setzen, nicht nach oben, sondern irgendwohin nach Osten führen. Niemand braucht einen 'Bewaffneten' unter den Fenstern des Kremls."
Weniger polemisch äußert sich eines der wichtigsten anonymen Polit-Portale mit rund 400.000 Abonnenten [externer Link]: "Unsere Quellen sind sich einig, dass der sibirische Bereich zu einem Wachstumsfaktor werden kann. Das erfordert jedoch jahrzehntelange Investitionen, sinnvolle Pläne und eine funktionierende Wirtschaft. Karaganows Aufgabe ist es, die Richtung für die Diskussion darüber vorzugeben, 'was die Behörden für den Fall eines Scheiterns [im Krieg] tun sollten'."
Politologe Andrei Schalimow fühlte sich an Stalin erinnert [externer Link]: "Sibirien sollte ein frei gewähltes Ziel werden und nicht wieder ein GULAG. Sibirien ist ein Abenteuer, kein Verbannungsort. Sibirien bedeutet Härte, keine Qual. Die Behörden tun sich schwer mit diesem Verständnis, weil sie selbst noch nicht daran glauben."
Blogger Dmitri Sewrjukow ergänzte [externer Link]: "Diejenigen, die es brauchten, sind bereits des Geldes wegen dorthin gegangen, aber wegen des Nebels und des Geruchs der Taiga werden es nicht so viele Enthusiasten sein, wie man in wissenschaftlichen Kreisen erwartet."
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