"Im sowjetischen (russischen) Eishockey wurden Helden immer unter spartanischen Bedingungen großgezogen, Siege wurden immer unter Schmerzen errungen und die Trainer machten aus den Athleten nicht nur Meisterschüler, sondern Gladiatoren mit eisernem Willen", hieß es von russischen Patrioten (externer Link) martialisch, nachdem ihr Landsmann Alexander Owetschkin mit 895 erzielten Toren für die Washington Capitals den langjährigen Rekord von Kollege Wayne Gretzky übertraf: "Der Moskauer ist Washingtons Idol."
Der kremlkritische Politologe Anatoli Nesmijan (119.000 Fans) meinte (externer Link): "Eigentlich bringt einer wie Owetschkin Russland mehr Vorteile als alle bis zum Rand mit Haushaltsgeldern gefüllte Propaganda-Behörden mit ihren grimmigen Männern und Frauen, die von Größe faseln - weil er für ein positives Image sorgt."
"Ich bin so stolz"
Die russische Propagandistin Anastasia Kaschewarowa (248.000 Follower) freute sich zwar (externer Link), dass Owetschkin der Welt die "wahre russische Macht" vorgeführt habe, gleichzeitig regte sie sich aber darüber auf, dass der Spieler kürzlich nicht ins russische Parlamentsgebäude eingelassen wurde, weil er sich erstens nicht ausweisen konnte und zweitens lässig gekleidet war: "Ich verlange, dass wir unseren echten Russen jederzeit hereinlassen, der so viel dazu beigetragen hat, dass Russland im Ausland Bewunderung genießt, und zwar überall, auch in Flip-Flops und T-Shirt! Ich bin so stolz!"
"Über den Ozean hinweg vereint"
Die Spekulationen über eine mögliche politische Karriere des Putin-Fans Owetschkin kennen keine Grenzen. Putin selbst hatte in einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump kürzlich Freundschaftsspiele zwischen russischen und amerikanischen Eishockey-Spielern angeregt (externer Link), was prompt einige Kommentare über eine mögliche "Eishockey-Diplomatie" provozierte.
Nach dem Weltrekord von Owetschkin machte Putins Unterhändler Kirill Dmitriew, der sich zu Gesprächen in Washington aufhielt, deutlich, welche Absicht der Kreml mit dieser sportlichen Charme-Offensive verfolgt (externer Link): "In den letzten Wochen kam es zu einer wahren Verbrüderung der Nationen: Während die Amerikaner einen russischen Eishockey-Spieler anfeuerten, begeisterten sich die Russen für die amerikanischen Washington Capitals. Das ist es, was Sport sein sollte: ein Instrument, das Menschen sogar über den Ozean hinweg vereinen kann."
"Putin? Er ist mein Präsident"
Owetschkin gilt als ausgesprochener Putin-Fan und ließ sich vor Jahren für die Propaganda einspannen, äußerte sich zum Angriffskrieg auf die Ukraine am 25. Februar 2022 allerdings vorsichtig (externer Link): "Das ist eine schwierige Situation. Ich habe Familie in Russland, und das sind beängstigende Momente. Aber wir können nichts tun. Bitte, kein Krieg mehr. Putin? Er ist mein Präsident. Aber wie gesagt, ich bin nicht in der Politik tätig."
BR24
In Russland wird darüber spekuliert (externer Link), dass Owetschkin bei der nächsten Parlamentswahl die Liste der Putin-Partei "Einiges Russland" anführen und Politiker werden könnte. Funktionäre wollen bereits Straßen und Stadien nach dem Eishockey-Star benennen und verglichen seine Leistung mit der Eroberung des Alls. Owetschkin werde sich womöglich nicht mit "Medaillen, Rubeln und politischer Immunität" locken lassen, könne aber zur "Trumpfkarte" des Kremls werden (externer Link), wenn es um die Kommunikation mit Washington gehe.
"Bleiben wir standhaft!"
Es gebe einen "einfachen Grundsatz", argumentierte Polit-Blogger Besonow (300.000 Fans, externer Link) anlässlich von Owetschkins Triumph: "Wir Russen werden erst dann geliebt und respektiert, wenn wir gewinnen. Sogar von unseren Feinden. Und umgekehrt: Wenn wir uns vor anderen in den Staub werfen, ihnen nacheifern und nach ihren Regeln spielen, anstatt unsere eigenen aufzustellen, werden sie uns dafür bestrafen."
Putin werde weltweit als "starker und harter Führer" anerkannt: "Das ist eine Lektion fürs Leben! Wir werden nur respektiert, wenn wir stark und unbeugsam sind, wenn wir keine Zugeständnisse machen - bleiben wir bis zum Ende standhaft!"
"Sein Puck ist wahres Opium"
Der kremlnahe Politologe Sergei Markow schrieb hingerissen: "Owetschkin hat oft bewiesen, dass er keine Angst hat oder sich schämt, Russe zu sein, selbst wenn Russen nur deshalb schikaniert werden, weil sie Russen sind."
Andere russische Kommentatoren waren deutlich weniger begeistert (externer Link): "Das Gleiche wie immer: Armut, Tod, Unterdrückung, was ohne die Unterstützung der Mächtigen durch Leute wie Owetschkin so nicht möglich wäre. Sein Puck wurde zu einem wahren Opium fürs Volk, zu einer Möglichkeit, der deprimierenden, hoffnungslosen Realität zu entfliehen."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!