"Wenn sich die Weltwirtschaft abschwächt, wird die Nachfrage nach allen wichtigen russischen Exportgütern sinken. Das könnte schlimmere Auswirkungen haben als die Sanktionen", so der russische Politologe Georgi Bovt (externer Link). Dessen Kollege Andrei Nikulin schrieb ironisch (externer Link), jedes Kleinkind in Russland kenne den Zusammenhang zwischen dem (fallenden) Ölpreis und dem Staatshaushalt: "Die Show fängt gerade erst an. So sieht ein globaler Handelskrieg aus. Unerwartet, vom Menschen gemacht und völlig vermeidbar."
Obwohl Russland formal nicht von Trumps Zollkrieg betroffen sei, bestehe die Gefahr, dass es "aufgrund des unvermeidlichen Zusammenbruchs der Rohstoffpreise einen heftigen indirekten Schlag" erleide.
Ähnlich klingt die folgende Wortmeldung eines Beobachters mit 159.000 Fans (externer Link), der auf den Einbruch der Aktien russischer Öl- und Gasproduzenten wie Gazprom und Rosneft verweist: "Experten gehen davon aus, dass die Wirtschaft des Landes bald vor großen Herausforderungen stehen wird und die Zentralbank zur Deckung des Haushaltsdefizits [noch] mehr Rubel drucken muss."
"Unsterblicher Rat von Lao Tse"
Putins Kriegswirtschaft wird überwiegend aus dem Staatshaushalt finanziert. Da die verfügbaren Reserven nach über drei Jahren Krieg sehr schnell zur Neige gehen und nach Ansicht von Experten bis Ende des Jahres erschöpft sein werden – nach Meinung des russischen Ökonomen Igor Lipsitz sind noch etwa 32 Milliarden Euro an flüssigen Mitteln übrig (externer Link) –, ist der Kreml dringend auf auskömmliche Öl- und Gaspreise angewiesen.
Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew (1,4 Millionen Fans) hatte mit Blick auf Trumps Zollpolitik allerdings demonstrativ bemerkt (externer Link): "Es besteht kein Grund zur Aufregung. Dem unsterblichen Rat des chinesischen Philosophen Lao Tse folgend, lohnt es sich, am Ufer zu sitzen und darauf zu warten, dass die Leiche eines Feindes an uns vorbeitreibt: die verwesende Leiche der EU-Wirtschaft."
Putin lässt Gold und Devisen verkaufen
Diese trotzige Bemerkung wurde von einem der russischen Polit-Blogger mit dem sarkastischen Hinweis kommentiert (externer Link) : "Alles ist miteinander verwoben, und Medwedew freut sich vergeblich: In dem Fluss, in dem er die 'Leiche der europäischen Wirtschaft' vorbeitreiben sieht, spiegelt sich sein eigenes Bild."
Das russische Finanzministerium hatte mitgeteilt (externer Link), dass es seine "Strategie" ändern und zwischen dem 7. April und dem 12. Mai Gold und Devisen (überwiegend indische Rupien) im Gesamtwert von knapp 36 Milliarden Rubel, umgerechnet etwa 382 Millionen Euro, verkaufen werde, um den Haushalt kurzfristig zu stabilisieren.
BR24
Grund dafür sei der Unterschied zwischen den tatsächlichen und den vorhergesagten Öl- und Gaseinnahmen. Nach offiziellen Zahlen (externer Link) sanken sie im ersten Quartal des laufenden Jahres gegenüber dem Vorjahr um rund zehn Prozent oder umgerechnet knapp drei Milliarden Euro.
Nach Angaben von Dmitri Drise (externer Link), Kolumnist des Wirtschaftsblatts "Kommersant", kalkulierte die russische Regierung mit einem Ölpreis von knapp 70 US-Dollar pro Barrel, aktuell liegt er für Ural-Öl bei unter 59 Dollar: "Also, ist Trump auf unserer Seite oder nicht? Das ist noch immer unklar."
"Trump landet selbst in Ölpreisfalle"
Kreml-Propagandist Sergei Markow machte die OPEC für den Preisverfall beim Öl verantwortlich (externer Link) . Länder wie der Irak und Kasachstan hielten sich nicht an die vereinbarten Quoten, weswegen Saudi-Arabien aufgebracht sei und seine Produktion hochfahre.
"Trump versucht, Russland in eine Ölpreisfalle zu treiben, landet dabei aber selbst darin", argumentiert einer der maßgeblichen Blogger (externer Link) mit 132.000 Followern. Erstens machten die Öleinnahmen "nur" ein Viertel der gesamten russischen Staatseinnahmen aus, zweitens fördere Russland deutlich günstiger als internationale Konkurrenten.
"Denke, wir werden überrascht sein"
"Welcher Ölpreis für den russischen Haushalt auskömmlich ist, hängt auch vom Wechselkurs des Rubels zum US-Dollar ab", so der Kommentator: "Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren ist Moskau weniger anfällig für fallende Ölpreise als Saudi-Arabien. Hoffen wir also Folgendes: Es wird Trump nicht gelingen, Russland in der Ölfrage in die Enge zu treiben. Doch er selbst manövriert sich bereits in eine äußerst unangenehme Lage."
Der als "ausländischer Agent" gebrandmarkte kremlkritische Politologe Wladislaw Inosemtsew spekulierte (externer Link), die USA würden angesichts des fallenden Ölpreises vorerst auf weitere Sanktionen gegen Russland verzichten, Putin sei quasi bestraft genug: "Lassen Sie uns nicht in Panik geraten und sehen, wie widerstandsfähig das internationale System gegenüber solchen unerwarteten Schocks ist. Ich denke, wir werden überrascht sein."
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