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Putin bei der Besichtigung von Rüstungsgütern
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Nach Tod von Starowoit: Wie groß ist die Angst der Putin-Elite?

Nach Tod von Starowoit: Wie groß ist die Angst der Putin-Elite?

Nach dem gewaltsamen Tod des russischen Ex-Verkehrsministers Roman Starowoit ist die Verunsicherung in der Kreml-Elite nach Meinung von Politologen und Kommentatoren stark gewachsen, die Regierbarkeit fraglich: "Das bedeutet eine Lähmung der Macht."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Unsere heutigen Beamten fürchten weder schlechtes Karma, noch das Fegefeuer. Sie haben Angst, das Falsche zu sagen", so die aufschlussreiche Analyse in einem Polit-Blog mit 358.000 Abonnenten (externer Link) nach dem Tod des russischen Ex-Verkehrsministers Roman Starowoit, der unmittelbar nach seinem Rauswurf durch Putin mit einer Schusswunde aufgefunden wurde: "Emotionen sind jetzt unangebracht. Aufrichtigkeit gilt als Risiko und könnte als Äußerung eines 'ausländischen Agenten' verfolgt werden. Beileid ist ein Fehler. Es ist einfacher, zu schweigen." Das sei einst "Stalins hoher Stil" gewesen.

Propagandisten und Staatsmedien ignorierten Starowoits Tod weitgehend, Putins Sprecher Dmitri Peskow hatte sich über das Auffinden der Leiche "schockiert" gezeigt (externer Link). Die russischen Ermittlungsbehörden hielten eine Selbsttötung für die wahrscheinlichste Todesursache, prominente Kreml-Propagandisten wie Sergei Markow verwiesen darauf, dass "einfache russische Bürger" vielfach Zweifel an einem Suizid hätten und eher vermuteten, der Politiker sei womöglich von Leuten ausgeschaltet worden, die fürchteten, er könne gegen sie aussagen.

"Lähmung der Macht"

Exil-Kommentatorin Alexandra Prokopenko von der Carnegie-Stiftung vertrat die Ansicht, Putins autokratisches Regierungssystem gerate durch den Vorfall an seine Grenzen "Der Selbstmord von Starowoit zeigt, wie sehr der Druck innerhalb eines Systems gewachsen ist, aus dem es keinen Ausweg gibt. Hohe Ämter, demonstrative Loyalität und selbst die Arbeit in Frontnähe schützen nicht mehr. Und die Unvorhersehbarkeit der Folgen lähmt die Initiative und untergräbt die Regierbarkeit."

Ein weiterer tonangebender russischer Beobachter (externer Link) warnte ebenfalls vor einer Entmutigung der Führungsschicht: "Die Situation ist so, dass jeder Minister oder Gouverneur morgens um 6 Uhr von Spezialeinheiten vom Bett in den Kofferraum gezerrt werden kann. Das freut die 'einfachen Leute', die 'jeden an die Wand' gestellt sehen wollen, sehr. Aber es schränkt die Handlungsspielräume eben dieser Minister oder Gouverneure erheblich ein."

Ein "kluger Mensch" werde keine Spitzenposition mehr übernehmen, wenn er sähe, wie sich "sogar höherrangige Beamte" erschössen: "Keine vernünftige Führungskraft wird ein wichtiges Dokument unterzeichnen, da jede Unterschrift strafbar sein könnte. Und das bedeutet eine Lähmung der Macht."

"Exorbitante Kosten, zweifelhafter Nutzen"

Politologe Alexander Semenjow sieht es ähnlich (externer Link): "Wie wird sich die Tragödie von Starowoit auf die Einschätzung des Patron-Gefolgschaftsverhältnisses auswirken, das weltweit die Grundlage der Beziehungen innerhalb der Eliten ist und in unserem Land praktisch die tragende Struktur des gesamten Systems darstellt? Aus Sicht eines rationalen Beobachters von außen ist dieses Verhältnis in einen Zustand geraten, in dem die Gefolgsleute exorbitante Kosten bei äußerst zweifelhaftem Nutzen zu erwarten haben." Die Frage sei allerdings, wie viele "vernünftige" Leute es in der Elite überhaupt noch gebe.

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Peter Jungblut

Politologe Andrei Nikulin spottete, die Kreml-Elite habe wohl zu viel "an der selbst zubereiteten Speise genascht" und sei der eigenen Propaganda erlegen: "Wie konnten sie das nicht voraussehen?"

Der kremlkritische Polit-Blogger Anatoli Nesmijan sieht das "durch und durch mittelalterliche System" aus Lehnsherr und Vasall in einer Krise (externer Link): "Kompetenz und Professionalität spielen in einer solchen Situation eine untergeordnete Rolle und stehen oft im Widerspruch zur Hauptaufgabe. Es ist logisch, dass die bürokratische Machtvertikale konsequent mit unfähigen Personen besetzt wurde, und dieser Prozess ist dynamisch, das heißt er beschleunigte sich im Laufe der Zeit wegen der Erschöpfung der Ressourcen." Putin versuche diese Schwäche durch "Terror" auszugleichen.

"Was waren all die Opfer wert?"

"Ich gehe davon aus, dass wir uns auf einen fast unvermeidlichen Zusammenbruch zubewegen, da das für die Bürokratie die einzige Chance ist, sich selbst und zumindest etwas, was sie versteckt und in Sparschweinen gesichert hat, zu retten", so Nesmijan, der die innenpolitische Lage in Russland mit der im Iran vergleicht.

Der Chefkommentator der im Ausland erscheinenden "Nowaja Gazeta Europe", Kirill Martinow sieht es ähnlich (externer Link): "Diese Menschen, zusammen mit den Gouverneuren und Ministern, schienen in Putins System völlig unantastbar. Nun deutet der Fall Starowoit an, dass es daran Zweifel gibt. Sollte das so sein, wird Panik die politische Elite erfassen. Wenn unser Leviathan das Recht auf Leben nicht mehr garantiert, was waren dann all die Opfer wert, die diese Elite insbesondere in den letzten drei Jahren gebracht hat? Warum sollte man Kapital und Immobilien im Westen aufgeben, wenn man wie Starowoit endet?

Politologe Andrei Kalitin gab sich sarkastisch (externer Link): "Es wird Abschiedsbriefe geben, Schüsse aus Trophäen-Waffen, Stürze aus den Fenstern teurer Wohnkomplexe und das mysteriöse Verschwinden von Menschen, Geld und Geschichten. Habt Geduld. Das Imperium zerbricht."

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