Die beiden Politiker sitzen an einer reich gedeckten Tafel
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Maximale Distanz: Putin und der aserbaidschanische Machthaber Alijew im Juni 2015 in Baku
Bildrechte: Alexei Druginin/RIA Nowosti/Picture Alliance
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Maximale Distanz: Putin und der aserbaidschanische Machthaber Alijew im Juni 2015 in Baku

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"Fackel am Dynamit": Droht Putins Außenpolitik Kontrollverlust?

"Fackel am Dynamit": Droht Putins Außenpolitik Kontrollverlust?

Der Konflikt zwischen Russland und Aserbaidschan verschärft sich. Moskau reagiert abwartend. Politologen sprechen von der "schwersten Krise" Putins und warnen: "Für ein Land wie Russland ist das, als würde man mit einer Fackel am Dynamit sitzen."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Der russische Präsident Wladimir Putin steht heute vor einer der schwersten Krisen seiner langen Herrschaft", schlägt einer der maßgeblichen russischen Polit-Blogger Alarm [externer Link]: "Der aserbaidschanische Präsident Alijew ist völlig außer Rand und Band geraten, fordert Russland und den Präsidenten persönlich heraus und lässt demonstrativ Russen verprügeln, die sich offensichtlich gerade in seiner Nähe aufhalten."

Tatsächlich waren russische Staatsbürger in Aserbaidschan wegen angeblichen "Drogenhandels" festgenommen und den Fotos nach zu urteilen auch ins Gesicht geschlagen worden. Entzündet hatte sich der Konflikt an einer Massenfestnahme aserbaidschanischer Staatsbürger in Russland, offiziellen Angaben zufolge wegen "Mordermittlungen".

"Ein Fass steht schon in Flammen"

Während aus Baku täglich neue scharfe Reaktionen kommen, zeigte sich Moskau bisher überraschend schweigsam. Das deutet für den in London lehrenden russischen Politologen Wladimir Pastuchow [externer Link] darauf hin, dass Putins außenpolitischer Spielraum mittlerweile nahe null geht: "Nachdem Russland seine Ressourcen für einen sinnlosen Krieg [in der Ukraine] verschwendet hat, der strategisch nichts entscheidet, stürzt es langsam aber sicher ins Chaos, das vor allem seine Peripherie erfasst."

Putin habe sich selbst in eine "Falle" manövriert, es sei ein "Teufelskreis". Der Kreml heize chauvinistische Stimmungen an, sei jedoch nicht in der Lage, diese zu kontrollieren: "Für ein Land wie Russland ist das, als würde man mit einer Fackel hantieren, während man auf einem Fass Dynamit sitzt. Ein Fass steht bereits in Flammen. Die anderen werden nicht lange auf sich warten lassen."

Politologe Andrei Kalitin vergleicht Russland bereits mit der Monarchie Österreich-Ungarn: "Das Land zerfiel schmerzlich und hat nie seine historische Bestimmung gefunden." Ein Grund dafür sei mangelnde Kritikfähigkeit gewesen: "Niemand in 68 Regierungsjahren sagte Kaiser Franz-Joseph I. jemals, dass er in irgendetwas falsch lag."

"Ich mache keine Witze"

Juri Podoljak, mit 3,1 Millionen Followern der wichtigste russische Militärblogger, seufzte [externer Link]: "Die Position des russischen Außenministeriums ist, dass es keine klare Position zu dieser Angelegenheit hat." Im Orient würden solche vagen Äußerungen "sehr gut" verstanden, so Podoljak: "Dort machen sie mit denen, die sie vertreten, was sie wollen. Es ist bitter für mich, darüber zu schreiben, ehrlich gesagt. Aber ich kann nicht unaufrichtig sein und etwas schreiben, was nicht meine Meinung ist."

Der Pessimismus unter russischen Beobachtern ist erstaunlich: "Sobald der Status einer Regionalmacht verloren ist, wird der physische Zerfall des Russischen Reiches weitergehen; keine Annexion des Donbass oder anderer ukrainischer Gebiete wird helfen", urteilt eine weitere Kommentatorin [externer Link].

"Qualvolle Entscheidung"

Kolumnist Juri Dolguruki empfahl dem Kreml [externer Link], sich an das Sprichwort zu halten: "Wenn du Angst hast, etwas zu verlieren, dann verlier es endlich und habe keine Angst mehr." Russland habe die Zügel "völlig aus der Hand gegeben", so Dolguruki (73.000 Fans): "Nun steht es vor der qualvollen Entscheidung: entweder öffentlich zurückzurudern, das Gesicht zu verlieren oder die ohnehin schon brüchigen Beziehungen [zu Aserbaidschan] endgültig zu zerstören. Vielleicht ist es an der Zeit, die Angst vor dem Verlust derjenigen, die lange Zeit keine echten Partner mehr waren, zu überwinden und eine Politik aufzubauen, die nicht auf Angst, sondern auf Prinzipien beruht."

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Peter Jungblut

Der russische Politologe Alexander Semenjow warnte [externer Link] alle Hitzköpfe: "Alle Aktionen Aserbaidschans zielen eindeutig darauf ab, schnelle, unüberlegte, emotionale Reaktionen unsererseits zu provozieren. Aber alle Aktionen Aserbaidschans sind Teil eines Großen Spiels, und im Großen Spiel bedeutet es von Anfang an zu verlieren, wenn man sich auf die Emotionen und das Tempo des anderen einlässt."

"Haka-Kriegstanz"

Noch sei nicht ausgemacht, ob sich der Konflikt ausweite, so Politologe Anatoli Nesmijan [externer Link]: "Setzt sich die Kaskade der Ereignisse in die gleiche Richtung fort, könnte der Konflikt eine qualitativ andere, bereits systemische Ebene erreichen. Sollten die Parteien des Haka-Kriegstanzes [der neuseeländischen Māori] überdrüssig werden, werden sie zur Kommunikation hinter den Kulissen übergehen, und Medien und Propaganda werden angewiesen, das Thema zu beenden. Für zwei autoritäre Regime ist das ein Kinderspiel."

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