Soldaten in Kampfmontur bei einem Manöver im August 2025
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Kampftraining: Russische Soldaten tragen einen Kameraden
Bildrechte: Alexander Polegenko/Picture Alliance
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Kampftraining: Russische Soldaten tragen einen Kameraden

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Putins "Todesökonomie": Wird ihm die Rekrutierung gefährlich?

Putins "Todesökonomie": Wird ihm die Rekrutierung gefährlich?

Der russische Präsident und seine Generäle verpflichteten bisher vor allem "deklassierte Elemente", für die es in der Wirtschaft keine andere Verwendungsmöglichkeit gebe, argumentieren Politologen, die auch von einer "neoliberalen Methode" sprechen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Radio Nachrichten am .

"Bei einem bedeutenden (wenn nicht gar dem größten) Teil der Teilnehmer der 'Spezialoperation' handelt es sich um Personen, deren Verlust weder die russische Wirtschaft noch die russische Gesellschaft negativ beeinflussen würde", schreibt der als "ausländischer Agent" gebrandmarkte russische Politologe Wladislaw Inosemtsew [externer Link] in einer Analyse für die in Amsterdam erscheinende "Moscow Times".

Er spricht von Putins "Todesökonomie" und behauptet, die Kämpfer würden für ihren Dienst und ihren Tod deutlich mehr Geld erhalten, als sie vor dem Renteneintritt in praktisch jedem realistischen anderen Beschäftigungsszenario verdienen könnten: "Es gibt im heutigen Russland keine bessere Verwendungsmöglichkeit für sie – so zynisch diese Aussage auch klingen mag."

"Gesellschaftliche und moralische Katastrophe"

Inosemtsew spricht von "deklassierten Elementen", die für den normalen Arbeitsmarkt entweder zu unqualifiziert oder zu alt seien. Auch ehemalige Sträflinge machten einen Teil der Freiwilligen aus: Die Zahl der Häftlinge sei im Kriegsverlauf um rund 200.000 rückläufig, 90 Gefängnisse geschlossen worden. Hinzu kämen weitgehend mittellose Wanderarbeiter und andere Personen mit wirtschaftlichen Problemen. Viele von ihnen würden an der Front getötet, verwundet oder infizierten sich mit Krankheiten: "Ein erheblicher Teil dieser Soldaten wird nie wieder einer gesellschaftlich nützlichen Arbeit nachgehen können, selbst wenn sie zuvor dafür geeignet waren."

Der russische Wirtschaftsfachmann Igor Lipsitz schließt sich dieser Sichtweise an [externer Link]: "Seit ich vor einigen Monaten in meinen Interviews anfing, den Begriff 'menschlicher Ausschuss' zu verwenden, schaudert es mich innerlich, und zwar bis heute: Diese Definition ist so hart und sogar grausam!"

"Kämpfen gegen Geld und Pässe"

Politologe Dmitri Michailitschenko glaubt [externer Link], dass postindustrielle Konsumgesellschaften überall Probleme haben, qualifizierte Kämpfer zu finden: "Es gibt zwei Lösungsansätze für dieses Problem: die Robotisierung der Armeen und die Rekrutierung von Söldnern aus Ländern der Zweiten und Dritten Welt, die bereit sind, gegen Geld und Pässe zu kämpfen. Alle, einschließlich der Europäischen Union, werden diese Ressourcen in den kommenden Jahren zunehmend nutzen."

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Peter Jungblut

Die zynische Rücksichtslosigkeit, mit der bevorzugt sozial Schwache für den Krieg mobilisiert werden, nennt ein weiterer russischer Polit-Kanal [externer Link] eine "neoliberale Methode", was auch für die Propaganda insgesamt gelte: "Der Krieg wird an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt und als Computerspiel mit gesichtslosen Helden dargestellt. Diese neoliberale Logik untergräbt jedoch die Mobilisierungsmöglichkeiten, birgt ein hohes Korruptionsrisiko und gefährdet die Stabilität des Regimes." Die Rückkehrer stellten so oder so eine "potentielle Bedrohung" dar, weil sie mutmaßlich als "Versager" beschimpft und ausgegrenzt würden.

"Russland schätzt nur tote und versehrte Bürger"

Währenddessen verweisen immer mehr russische Polit-Blogs auf die enormen Verluste der Armee. Einer der mit 100.000 Abonnenten tonangebenden Kanäle stellte fest [externer Link], dass auf manchem Friedhof die Grabstellen knapp würden und das russische Verteidigungsministerium im kommenden Jahr umgerechnet eine Milliarde Euro für Prothesen eingeplant habe: "Vor dem Hintergrund kolossaler menschlicher Verluste, des wirtschaftlichen Niedergangs, weitverbreiteter Militarisierung, totaler Hoffnungslosigkeit und fehlender Perspektiven gackern die Geier im und um den Kreml von einer 'patriotischen Mission'. Der ständige Propaganda-Ruf lautet, eine Antikriegshaltung sei kriminell; Russland schätze nur tote und versehrte Bürger."

Es werden angebliche "Insider" zitiert [externer Link], wonach die derzeitige Rekrutierung von Söldnern nur 30–40 % der tatsächlichen Verluste decke und die "Reserven erschöpft seien". Ohne eine Mobilmachung seien weitere russische Vorstöße auf größere Städte im ostukrainischen Donbass "aussichtslos". Gleichzeitig fehle es an Ausrüstung, um neue Soldaten überhaupt kampffähig zu machen. Die Depots reichten nicht mal für die Neuausstattung von 20.000 bis 30.000 Mann.

"Mangel an Willensstärke und Intelligenz"

Unterdessen beklagte der russische Drohnen-Experte Alexei Tschadajew im (wohl ungewollten) Einklang mit dem eingangs erwähnten Politologen Inosemtsew die mangelnde Qualifikation und Kampfkraft russischer Soldaten (und Generäle). Sachkunde sei an der Spitze überhaupt eine "Seltenheit": "Man braucht vor allem Willensstärke und zweitens Intelligenz. Ein Mangel an Intelligenz ist ein unangenehmer Nachteil, der noch verzeihlich wäre, doch ein Mangel an ersterem bedeutet völlige berufliche Inkompetenz. Ohne die Auseinandersetzung mit diesem Problem wird selbst die ausgefeilteste Technologie allein keine Überlegenheit auf dem Schlachtfeld sichern."

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