Josef Schuster (Mitte) ist der aktuelle Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
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Bildrechte: picture alliance / SZ Photo | Stephan Rumpf
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Zentralrat der Juden feiert 75-jähriges Bestehen

Zentralrat der Juden feiert 75-jähriges Bestehen

Seit 75 Jahren gibt es den Zentralrat der Juden in Deutschland. Seither ist der größte Dachverband jüdischer Gemeinden und Landesverbände eine wichtige politische Stimme der Juden hierzulande – und er bezieht gesellschaftspolitisch Stellung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Kann es jemals wieder jüdisches Leben in Deutschland geben? Für viele Jüdinnen und Juden war das nach der Zeit des Nationalsozialismus und der Shoah nicht denkbar. So war der Zentralrat der Juden in Deutschland zunächst als Anlaufstelle geplant – für Jüdinnen und Juden, die über kurz oder lang das "Land der Täter" verlassen würden.

Dass sich dieser jüdische Verband nach seiner Gründung 1950 in Frankfurt am Main dann auch für den Aufbau von Gemeinden und die Normalisierung der deutsch-jüdischen Verhältnisse einsetzte, war ein Politikum, urteilte der erste Generalsekretär Hendrik van Dam wenige Jahre nach der Gründung: "Viele haben uns vorgeworfen, dass überhaupt keine organisierte jüdische Gemeinschaft mehr in Deutschland sein sollte. Wir haben im Grunde genommen die jüdischen Gemeinden in Deutschland aufgebaut, auch gegen den Wunsch vieler Juden im Ausland."

Der Zentralrat wolle gesellschaftliche Barrieren abbauen, sagte van Dam damals. "Der eine Eiserne Vorhang, den wir bedauern, genügt schon."

Zentralrat sieht sich als "Wächter der Demokratie"

Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten mehr als eine halbe Million Juden in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählten die jüdischen Gemeinden im Jahr 1955 nur noch knapp 16.000 Mitglieder. Bis in die 1980er-Jahre waren es dann fast doppelt so viele.

Als ihre religiöse, gesellschaftliche und auch politische Vertretung zeigte sich der Zentralrat der Juden in seiner Geschichte immer wieder als mahnende Instanz – besonders durch seine Präsidentinnen und Präsidenten wie Heinz Galinski ab 1988, der den Umgang des Staates mit Antisemitismus genau beobachtete. "Unsere Existenz beruht zwangsläufig auf täglichem Prüfen", sagte Galinsiki einmal. Die Dauerfrage sei: "Inwieweit der Staat, in dem wir leben, bereit ist, unsere Existenz zu sichern."

Diesen kritischen Blick hat auch der heutige Zentralratspräsident Josef Schuster beibehalten: "Der Zentralrat sieht sich in seiner Aufgabe als einen Wächter der Demokratie. Und immer dann, wenn die Demokratie gefährdet erscheint, werden sich der Zentralrat und seine Vertreter zu Wort melden."

Ausmaß an Antisemitismus "im Alptraum nicht vorgestellt"

Das tat auch Ignatz Bubis, Zentralratspräsident in den 1990er-Jahren. Nach dem Mauerfall blühten die Gemeinden auf, denn viele tausende Jüdinnen und Juden kamen aus den ehemaligen Ländern der Sowjetunion nach Deutschland. Doch auch der Rechtsradikalismus nahm zu - 1994 der Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck. Zentralratspräsident Ignatz Bubis prägte in dieser Zeit den Begriff der "geistigen Brandstiftung", auch mit Blick auf die wieder aufkommende "Schlussstrichdebatte".

2006, als Charlotte Knobloch Präsidentin wurde, war die Zahl der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden inzwischen auf 108.000 angestiegen. Seitdem geht sie allmählich wieder zurück.

Heute seien die Jüdinnen und Juden in Deutschland im Ausnahmezustand, sagt Josef Schuster, der seit 2014 Zentralratspräsident ist. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sei die Zahl antisemitischer Vorfälle und Straftaten angestiegen, ebenso die Zahl der pro-palästinensischen Demonstrationen mit antisemitischen Botschaften. "Was wir heute erleben an Antisemitismus, an Anfeindungen hab ich mir weiß Gott im Alptraum nicht vorgestellt", sagt Schuster. "Und wenn sie mir das 2014 gesagt hätten, hätte ich gesagt: Das glaube ich nicht."

Zentralrat will mit jüdischer Akademie mehr Sichtbarkeit schaffen

Dennoch blickt Schuster mit Optimismus in die Zukunft seiner Heimatgemeinde in Würzburg und den 104 weiteren Gemeinden, die mit dem Zentralrat verbunden sind: 89.000 Mitglieder zählen sie derzeit. "Ich gehe davon aus, dass jüdisches Leben in Deutschland auch in 20 Jahren präsent sein wird."

Ob es dann noch 105 jüdische Gemeinden sind oder weniger, sei derzeit nicht absehbar. "Aber jüdisches Leben wird es quer im Bundesgebiet von Nord bis Süd weitergeben und ich erwarte eine positive Entwicklung der jüdischen Gemeinden", ist Schuster sicher. Und um das jüdische Leben auch weitherin sichtbar zu machen, will der Zentralrat im kommenden Jahr eine jüdische Akademie schaffen – in Frankfurt am Main, wo der Verband vor 75 Jahren gegründet wurde.

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