Eine unscheinbare Halle in einem Industriegebiet bei Bad Aibling. In der Mitte stehen drei Tischtennisplatten, an einer Wand hängen die Trikots zahlreicher Nationalmannschaften. In dieser Halle haben bis vor zwei Jahren lokale Amateure für ein internationales Publikum gespielt. Was auf den ersten Blick wirkt wie bedeutungslose Hobbyspiele, ist Teil der globalen Wettindustrie.
Die Turnierserie heißt TT Cup. Die ersten Turniere fanden 2014 in der Ukraine statt, inzwischen werden sie in Tschechien, Estland, Spanien und den USA ausgerichtet. Heute finden im Schnitt mehr als 160 Spiele pro Tag statt. Wetten auf den nächsten Satz, den Ausgang eines Spiels, live und jederzeit – auch in deutscher Sprache und live während des Spiels. Suchtforscher sagen: Live-Wetten haben ein besonders hohes Suchtpotenzial.
50 Euro vom Veranstalter, 10 Euro für die Spieler
Normalerweise trainiert Thomas Wetzel in der Halle Tischtennis-Talente aus der ganzen Welt. Wetzel war früher selbst Tischtennis-Profi. Im Sommer 2022 bekam er das Angebot, die Turnierserie TT Cup in seiner Trainingshalle auszurichten. Es gab keine Zuschauer – dafür eine fest installierte Kamera und Liveticker.
Zweimal pro Woche fanden die Turniere statt. Die Beteiligten: meist Amateure, organisiert über Vereine in der Region: "Wir haben uns an Spieler gewandt, die wir persönlich kannten, und gefragt: Habt ihr Lust?" Für jedes Spiel habe er 50 Euro vom TT Cup bekommen, zehn Euro davon an die Spieler weitergegeben. Woher das Geld kam? "Ich denke, das kam von Wettanbietern", sagt Wetzel. Tatsächlich tauchen die Spiele des TT Cup in der Regel bei mehr als 20 internationalen Buchmachern auf.
Tischtennis scheint wie das ideale Wettprodukt
Wetten auf Amateursport sind in Deutschland laut dem Glücksspielstaatsvertrag verboten – doch das Geschäft funktioniert international. Kurze Spieldauer, wenig Aufwand und schnelle Ballwechsel - Tischtennis scheint ein ideales Wettprodukt zu sein. Recherchen des BR zeigen: Allein in sechs Amateur-Turnierserien wie dem TT Cup fanden in diesem Jahr mehr als 110.000 Spiele statt, auf die live im Internet gewettet werden konnte.
Nachts um halb zwei Uhr in Kielce, Polen: Ein Livestream aus dem Juli 2025 zeigt zwei Männer an einer Tischtennis-Platte, die nicht besonders gut spielen. Der einzige Zuschauer: ein müder Schiedsrichter. Solche Videos von Spielen des TT Cup gibt es tausendfach im Netz.
Thomas Wetzel vermutet, dass viele der TT-Cup-Spiele vor allem für den asiatischen Wettmarkt gedacht sind. Die ungewöhnlichen Spielzeiten – oft frühmorgens oder mitten in der Nacht – deuteten darauf hin, dass "Märkte bedient werden, die nicht in unserer Zeitzone liegen", so der Trainer.
Dubioser Trikot-Sponsor der deutschen Nationalmannschaft
Obwohl man in Deutschland nicht auf den TT Cup wetten darf, ist die Turnierserie seit Anfang 2024 einer der Hauptsponsoren des Deutschen Tischtennis-Bunds (DTTB). Die Nationalteams treten mit dem Logo auf ihren Trikots auf, sogar die Nachwuchsteams. "Es wirkt auf den ersten Blick ein bisschen absurd, gar keine Frage", sagt Richard Prause, Sportvorstand des DTTB. Aber man dürfe nicht vergessen, dass diese Einnahmen zum Teil in den Jugendsport fließen würden.
Die frühere DTTB-Präsidentin Claudia Herweg kritisiert das Sponsoring. Noch während ihrer Amtszeit hatte das Präsidium ein Angebot des TT Cup abgelehnt – trotz zwischenzeitlicher Geldnöte des Verbands. "Man muss auch aufgrund von Finanzproblemen keine Deals eingehen, die nicht zu den Werten des Sports passen", sagt die ehemalige DTTB-Präsidentin.
Mutmaßliche Briefkastenfirma auf Zypern
Doch wer steckt hinter dem TT Cup? Auf Anfrage verweist ein Sprecher auf die Firma Genza Spin aus Zypern. Vor Ort gibt es eine Frau, die als Direktorin fungiere. TT Cup erklärt weiter, die tägliche sportliche und operative Leitung werde von einem internationalen Team übernommen. Wer tatsächlich an den Turnieren verdient, bleibt unklar.
Der DTTB schreibt auf Anfrage, dass das Sponsoring von Tischtennis-Nationalspieler Dimitrij Ovtcharov vermittelt worden sei. Zur Höhe des Sponsorings will der DTTB keine Auskunft geben. Laut Tischtennis-Trainer Thomas Wetzel kam auch sein Kontakt zum TT Cup über Ovtcharov zustande. Olympia-Medaillengewinner Ovtcharov tritt selbst als Markenbotschafter des TT Cup auf. Auf eine BR-Anfrage reagierte Ovtcharov nicht.
Risiko der Spielmanipulation im Amateursport
Wettangebote auf kleine, kaum bekannte Tischtennisturniere bergen ein hohes Risiko der Spielmanipulation. Ein aktueller UN-Bericht warnt: Gerade im Amateursport ist die Gefahr besonders hoch. Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) ist in Deutschland für die Kontrolle des Online-Wettmarkts zuständig. Auch die GGL schätzt die Gefahr für Manipulationen im Tischtennis als "erheblich" ein.
Tischtennis-Trainer Thomas Wetzel erzählt, er habe den Eindruck, dass beim TT Cup "gut aufgepasst" werde. Es gebe zwar überall "schwarze Schafe", doch die technischen Möglichkeiten seien inzwischen so weit, dass Auffälligkeiten in der Regel schnell entdeckt würden.
Der TT Cup verweist auf Anfrage darauf, dass es keine Manipulationsfälle gebe und die Spiele dahingehend überwacht würden.
Datenlieferant Sportradar mit Doppelrolle
Für dieses Monitoring ist die Schweizer Firma Sportradar beim TT Cup zuständig. So beobachtet Sportradar etwa die Wetteinsätze auf Auffälligkeiten, um möglichen Betrug zu entdecken. Das Unternehmen verweist auf Anfrage darauf, dass die Manipulationsraten im Tischtennis zu den niedrigsten im Sport gehören würden.
Doch Sportdatenunternehmen wie Sportradar haben eine Doppelrolle: Ausgerechnet die Firma, deren "Integrity Services" Tischtennis vor Wettbetrug schützen möchte, sorgt erst dafür, dass Amateurspiele auf dem internationalen Wettmarkt landen – auch beim TT Cup.
Sportradar erzeugt Daten und beliefert Wettanbieter
In der Regel sichert sich Sportradar dafür die Rechte an den Turnierserien und stattet die Austragungsorte mit Kameras aus – so auch in Bad Aibling. Während der Spiele analysiert Sportradar automatisiert die Videoaufnahmen in Echtzeit und erzeugt Daten zum Spielverlauf und Wettquoten. Sportradar selbst betont, man sei nur Dienstleister für Wettanbieter. Diese seien selbst verantwortlich für ihr Angebot. Nach eigenen Angaben liefert Sportradar bis zu 800 Wettanbietern Daten von unterschiedlichen Sportarten.
Thomas Wetzel hat die Zusammenarbeit mit dem TT Cup im Sommer 2023 beendet. Der Aufwand sei auf Dauer zu groß gewesen. Damit es sich finanziell lohnt, hätte er in Bad Aibling deutlich mehr Turniere mit mehr Spielern veranstalten müssen.
"Die Serie funktioniert deswegen in den osteuropäischen Ländern besser", sagt Wetzel. Dort gebe es Amateurspieler, die solche Turniere quasi zu ihrem Beruf gemacht hätten. Eine BR-Datenauswertung des TT Cups zeigt: Allein in Tschechien haben in diesem Jahr elf Spieler mehr als 1.000 Partien untereinander ausgetragen.
Politik uneins bei Vorgehen gegen Wettindustrie
Bereits im August 2024 hatten BR-Recherchen aufgedeckt, dass internationale Wettanbieter Tausende deutsche Amateurfußballspiele im Angebot hatten. Seit Herbst diskutieren die dafür zuständigen Innenminister der Länder, ob die Integrität des Amateursports durch eine Reform des Glücksspielstaatsvertrags besser geschützt werden kann.
Aus dem bayerischen Innenministerium heißt es auf BR-Anfrage, man sehe in illegalen Wetten auf Amateurligen eine ernste Gefahr für die Integrität des Sports. Daher unterstütze man grundsätzlich alle umsetzbaren Maßnahmen, die den Amateursport wirksam schützen könnten. Bei der Innenministerkonferenz im Juni lag ein Verbot für das Sammeln von Daten für Wetten auf Amateursport auf dem Tisch. Doch zu einer Einigung kam es nicht.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!