Lena Oberdorf ist das jüngste Beispiel: Die Spielerin des FC Bayern hat zum zweiten Mal in Folge einen Kreuzbandriss erlitten. Wieder ist das rechte Knie betroffen – und das nur 50 Tage nach ihrem Comeback.
Dr. Leonard Achenbach kennt diese Verletzung. Der Münchner Orthopäde und Unfallchirurg behandelt die Frauen des FC Bayern und ist Koordinator Fußballmedizin beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Im Gespräch mit BR24Sport schätzt er die Häufigkeit von Kreuzbandrissen und die Ursachen dafür ein – und richtet einen klaren Appell an die Vereine.
Professionalität des Umfelds wichtig in der Prävention
Bei den FC Bayern Frauen erlitt neben Oberdorf auch Sarah Zadrazil vor wenigen Wochen einen Kreuzbandriss, Frankfurt-Neuzugang Barbara Dunst kuriert diesen noch aus. Insgesamt fallen laut dem Portal "soccerdonna" aktuell 16 Fußballerinnen in der Bundesliga mit einem Kreuzbandriss aus.
4,3-mal häufiger reißt ein weibliches Kreuzband in der 1. und 2. Bundesliga im Vergleich zu einem männlichen, erklärt Dr. Achenbach. Im Amateurbereich liege der Faktor nur bei 2,5. "Mit Anstieg des Belastungsanspruches haben die Frauen mehr Verletzungen im Vergleich zu den Männern erlitten", weiß der Münchner Sportmediziner.
Gehe man dann aber in die Champions League, sei keine signifikante Zunahme erkennbar. Im Gegenteil: Der Faktor liege nur noch bei 1,6 bis zwei. "Das heißt, die Professionalität des Umfelds der Champions-League-Mannschaften kann zumindest dieses Risiko deutlich minimieren, sodass wir immer noch einen Unterschied sehen, er aber nicht mehr so extrem ist wie bei den Männern."
Kreuzbandriss wie bei Oberdorf kaum zu verhindern
Generell müsse man aber unterscheiden zwischen Kreuzbandverletzungen, die aus Drehbewegungen resultieren - wie bei Sarah Zadrazil - und Kontaktverletzungen wie im Fall Oberdorf, erklärt Dr. Achenbach. "Lena Oberdorf hatte jetzt einfach unglaublich Pech. Sie hat jetzt eine Kontaktverletzung erlitten und die sind einfach unglaublich schwer vorzubeugen. [...] Wenn eine Gegenspielerin das Knie so stark kollidiert, hat man aktuell noch sehr, sehr wenig Präventionspotenzial", stellt der Orthopäde klar.
Risiko für erneuten Kreuzbandriss bei ungefähr 30 Prozent
Leonard Achenbach plädiert deshalb, die Trainingslehre anzupassen, um Kontaktverletzungen zu minimieren. "Wir müssen es auch verbessern, dass im Jugendbereich Zweikämpfe besser trainiert werden, damit genau solche Sachen eben nicht mehr passieren".
Zusätzlich erlitten viele Spielerinnen aufgrund der schlechteren Trainingsbedingungen schon im Jugendbereich einen Kreuzbandriss. Die Wahrscheinlichkeit, sich unabhängig in welchem Knie erneut einen Kreuzbandriss zuzuziehen, liege bei ungefähr 30 Prozent, erklärt der Sportmediziner. Oberdorf zog sich die Verletzung nur wenige Wochen nach ihrem Comeback zu.
Welche Rolle spielt der weibliche Zyklus bei Kreuzbandrissen?
Viele Sportmediziner wie der Oberarzt für Knie- und Sporttraumatologie im Krankenhaus Köln-Mehrheim, Prof. Dr. Daniel Günther, sehen die Ursache für Kreuzbandrisse bei Frauen in der X-Bein-Stellung und dem Menstruationszyklus. Frauen scheinen in der Zeit um den Eisprung "ein etwas weicheres Bindegewebe zu haben", so Prof. Günther zu dem Sport-Informations-Dienst.
Mediziner Achenbach widerspricht dieser Hypothese: "Es gibt - Stand jetzt - kein erhöhtes Risiko während bestimmter Zyklusphasen für das Kreuzband. Einer der Faktoren, der eher bewiesen ist, ist, dass man mit einer genetisch bedingten sehr laxen Gelenkstruktur ein höheres Risiko hat, sich das Kreuzband zu reißen." Die Häufigkeit einer sogenannten Hyperlaxizität sei doppelt so hoch bei Mädchen (16 Prozent) wie bei Jungen (acht Prozent).
Dr. Achenbach sieht Vereine in der Pflicht
Achenbach ist überzeugt, "den größten Hebel hat weiterhin das Umfeld um die Spielerin selber als die anatomischen Bedingungen. In der Forschung sagen wir, dass wir das weibliche Geschlecht nicht schwach reden dürfen, also per se kann eine Fußballspielerin verletzungsfrei Fußball spielen, aber sie braucht eben Unterstützung."
Diese Unterstützung wollen Dr. Achenbach und sein Team liefern und haben deshalb ein Programm mit Übungen für die Spielerinnen entwickelt und wissenschaftlich mehrfach nachgewiesen. "Wir sehen den deutlichen Erfolg der Präventionsübungen zur Reduktion von diesen Verletzungen. Durch neuromuskuläre Übungen und Techniktraining können schwere Knieverletzungen deutlich reduziert werden."
Dabei nimmt Achenbach auch die Vereine in der Pflicht, die Unterstützung anzunehmen. Die Einstellung vieler Vereine sei, "sehr viel intern zu lösen, von dem wir im Frauenbereich vielleicht weggehen müssen, um uns eher mit Forschungseinrichtungen oder Diagnostikzentren enger zu schließen". Damit tragische Schicksale, wie das von Lena Oberdorf, in Zukunft seltener werden.
Lena Oberdorf
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