Als am Sonntag an der Adam-Małysz-Skisprungschanze in Wisla die deutsche Nationalhymne gespielt wurde und Pius Paschke mal wieder ganz oben auf dem Podest stand, konnte man sehen, dass der 34-Jährige durchaus ergriffen war. "Es ist schon ein sehr spezieller Moment. Ich probiere es dann immer zu genießen", sagte Paschke nach dem Wettkampf im Sportschau-Interview. Und tatsächlich kann der Mann vom WSV Kiefersfelden, der vor seinem 33. Geburtstag keinen einzigen Einzel-Weltcup-Sieg holen konnte, ja nicht einmal einen Podiums-Platz ergattern konnte, das Wort "Immer" verwenden, wenn es um die Siegerehrung geht.
Paschkes Weltcup-Führung: Polster beträgt knapp 100 Punkte
Denn das Siegen wird für Paschke allmählich zur Routine. Dreimal stand der gebürtige Münchner in dieser Saison schon ganz oben auf dem Stockerl. Das gelbe Trikot des Weltcup-Führenden ist seit dem 22. November sein ständiger Begleiter in diesem Winter. So früh in der Saison hat er seinen Vorsprung im Gesamtweltcup auf 96 Punkte ausgebaut.
Erfahrung als Erfolgsgeheimnis: "Woas i ned"
Es ist eine ungewöhnliche Heldengeschichte. Der ruhige, harte, sympathische Arbeiter, der plötzlich im hohen Skispringer-Alter alle überflügelt und mit 34 Jahren die Form seines Lebens gefunden hat. Paschke avanciert zum Benjamin Button des Wintersports. Und so möchte alle Welt natürlich das Geheimnis des Mannes erfahren, der die Zeit scheinbar zurückdreht. Den ungewöhnlichen Fall des Pius Paschke entschlüsseln. Ist es die große Erfahrung, aus der Paschke seine neue Stärke zieht? "Woas i gar ned, ob's des is", sagte Paschke und fügte mit einem Schmunzeln an: "Es gibt schon Leute, die deutlich jünger sind als ich und schon deutlich mehr Jahre im Weltcup auf dem Buckel haben."
Die Antwort des Gesamtweltcupführenden ist weniger spektakulärer als erwartet, dafür ganz typisch Paschke: "Das kontinuierliche Weiterarbeiten in den letzten Jahren ist der Schlüssel gewesen. Jedes Jahr ein paar kleine Schritte." Und: "Ich bin gut in den Winter reingekommen und so ist es gerade leicht, das abzurufen."
Rituale der Skispringer: Brusttrommeln und "Gewinner"-Schreie
Und was ist mit den anderen brennenden Fragen? Was waren die Ziele vor diesem verrückten Saisonstart? Nochmal einen einzigen Weltcupsieg holen? Endgültig in die Weltspitze vordringen? Den Gesamtweltcup holen und noch dazu die Vierschanzentournee? Nichts dergleichen. Das Ziel, das ihn angetrieben habe, sei gewesen: "Wie kann ich meinen Sprung noch mehr in die Richtung bringen, wo ich ihn selber sehe. Da habe ich noch einen Schritt nach vorne gemacht. Im ersten Drittel vom Flug und unten, dass ich schnell werde." Paschkes Fazit: "Die Zielsetzung im Sommer war gut und die Umsetzung auch."
Gibt es denn wenigstens ein magisches Ritual, das Paschkes Erfolg erklärt? Markus Eisenbichler trommelte sich gerne vor dem Springen auf die Brust, Ryoyu Kobayashi trägt stets Metall-Armbänder mit funkelnden Steinen bei sich und Noriaki Kasai schrie vor einem Sprung stets seinem Service-Techniker auf Deutsch entgegen: "Gewinner!" Und Paschke? Lässt sich nicht in die Karten schauen: "Ich habe ein Ritual, das funktioniert recht gut aktuell. Es wird sicher Tage geben, wo es wieder schwerer ist. Und dann ist es umso wichtiger, dass ich mein Rezept parat habe, wie ich wieder da hinkomme, wenn der eine oder andere Sprung nicht so funktioniert."
Mentalcoach: Paschke "wusste nicht, wie groß sein Potenzial ist"
Wie genau dieses Ritual aussieht, verriet Paschke nicht. Man lehnt sich wohl nicht allzu sehr aus dem Fenster, wenn man vermutet, dass es weitaus weniger extrovertiert daherkommt wie bei anderen Kollegen. Generell ist Paschke ein sehr ungewöhnlicher Gesamtweltcupführender. Keine Spur von der Verbissenheit eines Sven Hannawald oder Stefan Kraft. Er ist kein Showmaster wie Kobayashi, hat nicht die Coolness eines Halvor Egner Granerud.
Der Oberbayer Paschke ist einfach er selbst geblieben. Bodenständig, fleißig, unaufgeregt - und demütig? Letzteres hat er ein wenig abgelegt. Zumindest Teile der Demut, die ihm in seiner Karriere auch immer wieder im Weg standen. Der Kiefersfeldener wusste nicht, "wie groß sein Potenzial ist und wie weit ihn das führen könnte", erklärte kürzlich Paschkes Mentalcoach und langjähriger Wegbegleiter Thomas Ritthaler im BR24Sport-Interview.
Paschke: Vom Underdog zum Gejagten
Diese Zeit scheint endgültig vorbei zu sein. Selbstbewusstsein hat Paschke mittlerweile genug. Und sein Charakter hilft ihm derzeit dabei, bei dem ganzen Trubel um seine Person trotzdem die Ruhe zu bewahren, auf dem Boden zu bleiben. Nun geht es für Paschke am Wochenende zum ersten Heimweltcup nach Titisee-Neustadt.
Mit dabei im Gepäck ist selbstverständlich das gelbe Trikot. Und eine neue Erwartungshaltung. Von einem Sensationssieg und einem Überraschungserfolg würde niemand mehr sprechen, wenn der 34-Jährige auch am Samstag wieder ganz nach vorne springt. Aber Paschke wäre nicht Paschke, wenn er darin nicht eine Aufgabe sehen würde, an der er arbeiten und sie somit lösen kann.
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