Wenn in Meinungsumfragen in Deutschland erfasst wird, ob das Nebeneinander von gesetzlichen (GKV) und privaten Krankenkassen (PKV) abgeschafft werden sollte, ist das Ergebnis seit vielen Jahren stets das gleiche: Eine breite Mehrheit wünscht sich ein einheitliches Versicherungssystem. Oft wird es unter der Überschrift "Bürgerversicherung" diskutiert. Auch Sozialverbände wie der VdK und der SoVD machen sich immer wieder für eine Bürgerversicherung stark.
Befürworter einer Bürgerversicherung führen vor allem zwei Argumente ins Feld: Die bevorzugte Behandlung von Privatpatienten, über die viele Menschen immer wieder berichten, hätte ein Ende. Außerdem könnten die Beiträge in der Summe sinken.
Günstigere Bürger-Krankenversicherung für alle?
Verschiedene gesundheitsökonomische Berechnungen kommen zum Ergebnis: Wenn auch Privatversicherte in das solidarische Umlagesystem der GKV einbezogen würden, könnten die Beiträge sinken. Denn PKV-Versicherte sind aus verschiedenen Gründen im Schnitt meist gesünder als gesetzlich Versicherte, zeigen Studien immer wieder. Gleichzeitig sind ihre Prämien vor allem in jüngeren Jahren vergleichsweise niedrig. Wenn man die Gesundheitsversorgung als solidarische Gesamtaufgabe betrachtet, leisten Privatversicherte demnach nicht den Beitrag, der ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten angemessen wäre.
Wenn alle Privatversicherten zusammen mit den GKV-Versicherten in eine Bürgerversicherung einbezogen würden, könnten deshalb die Beiträge drastisch sinken, erklärt Die Linke in ihrem Wahlprogramm: von 17,1 Prozent vom Bruttolohn auf 13,3 Prozent. Auch der Sozialverband VdK hält eine solche Verringerung für möglich: "Dadurch ließen sich die Beitragssätze sogar um 3,8 Prozentpunkte senken", schreibt der Verband.
Berechnungen fallen für Bürgerversicherung unterschiedlich aus
Gesundheitsökonomische Studien der vergangenen Jahre zeigen zwar ebenfalls ein gewisses Potenzial für insgesamt niedrigere Beiträge, wenn eine solche Bürgerversicherung eingeführt würde. Doch diese Berechnungen fallen deutlich geringer aus. Das Berliner "IGES-Institut" hat im Jahr 2021 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine mögliche Absenkung der Kassenbeiträge um 0,2 bis 0,6 Prozent errechnet.
Die großen Unterschiede erklären sich unter anderem damit, dass verschiedene Berechnungsgrundlagen verwendet wurden. Der durchschnittliche Beitragssatz einer Bürgerversicherung könnte deutlich niedriger ausfallen, wenn für den Krankenkassen-Beitrag alle Einnahmen einbezogen würden, also auch etwa Einnahmen aus Kapital oder Mieten. Derzeit wird in der Regel nur das Arbeitseinkommen dafür herangezogen.
Die Krankenversicherungs-Pläne der Parteien
Im Bundestagswahlkampf wird das Thema "Bürgerversicherung" mit Sicherheit eine Rolle spielen, auch weil die Kassenbeiträge ebenso wie die PKV-Prämien zum Jahreswechsel kräftig steigen. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben dazu sehr unterschiedliche Ansätze.
Die Linke und das BSW streben die schnelle Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung an, in die alle einzahlen. SPD und Grüne formulieren hier zurückhaltender: Sie wollen die PKV in einen gemeinsamen Finanzausgleich mit der GKV einzahlen lassen, ohne zunächst die Privaten dabei ganz abzuschaffen. Union und FDP wollen an der jetzigen Zweiteilung der Krankenversicherung festhalten. Im Wahlprogramm der AfD findet sich nichts, was direkt mit diesem Thema zu tun hat.
Große Widerstände
In der Vergangenheit hat sich allerdings gezeigt: Auch wenn eine Bürgerversicherung theoretisch eine Mehrheit im Bundestag hätte, heißt das nicht, dass sie eingeführt wird. Als SPD und Grüne die Regierungsmehrheit stellten, haben sie zwar beispielsweise den Zugang zur PKV erschwert, in dem sie die Einkommensgrenze, ab der Arbeitnehmer sich privat versichern können, deutlich angehoben haben. Ansonsten haben sie das zweigeteilte System aber nicht infrage gestellt.
Ein Grund dafür liegt darin, dass die private Krankenversicherung auch meinungsstarke Befürworter hat: Der Deutsche Beamtenbund beispielsweise wendet sich seit Langem gegen alle Pläne, den Spielraum der PKV einzuschränken. Auch die meisten Ärzteverbände stärken der PKV den Rücken.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Abschaffung der PKV
Und der Verband der Privaten Krankenversicherung hat in der Vergangenheit bereits Rechtsgutachten erstellen lassen, wonach es verfassungswidrig wäre, die PKV abzuschaffen. Sowohl die Freiheitsrechte der PKV-Unternehmen als auch die Rechte der Versicherten würden bei der Einführung einer Bürgerversicherung verletzt, heißt es in diesen Gutachten.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!