Hier findet man die absolute Ausnahme: In der Orthopädie-Station der Schön-Klinik in München-Harlaching werden seit knapp einem Jahr Zwölf-Stunden-Dienste getestet, ermöglicht durch eine Ausnahmegenehmigung der Behörden. Im Gegenzug haben die Pflegerinnen und Pfleger, die sich an dem Projekt beteiligen, keine klassische Fünf-Tage-Woche mehr, sondern meist eine Vier-Tage-Woche.
Laut Pflegedienstleiterin Corina Klumpp wird das Projekt gerne angenommen – schließlich sei der Wunsch aus dem Pflegeteam selbst gekommen. Manche Mitarbeiter hätten die Zwölf-Stunden-Tage schon aus ihren Heimatländern gekannt. Zugleich betont Klumpp im Gespräch mit der BR-Redaktion Stationen: "Das Projekt ist freiwillig. Es darf jeder freiwillig teilnehmen und auch wieder aussteigen." Es müsse immer zur Lebensrealität der einzelnen Beschäftigten passen.
Zwölf-Stunden-Tage: Eine Umstellung, aber für manche attraktiv
Pfleger Mathias Lader ist von Anfang an bei dem Modellprojekt dabei. Zu Beginn sei es schon eine Umstellung gewesen, körperlich und mental, sagt er. Aber mittlerweile wolle er das Arbeitszeitmodell nicht mehr missen. Lader genießt die zusätzlichen freien Tage, weil er gerne unterwegs ist. Für andere Kolleginnen und Kollegen, die sich an dem Projekt beteiligen, ist entscheidend, dass sie zusammen mit ihren Partnern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser hinbekommen.
Das ist der zentrale Grund, warum sich die schwarz-rote Koalition vorgenommen hat, das Arbeitszeitgesetz zu flexibilisieren. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Die Arbeitswelt ist im Wandel. Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf."
Union: Flexibilisierung soll auch den Standort stärken
Bislang ist der Acht-Stunden-Tag die Regel, maximal sind Arbeitszeiten von zehn Stunden am Tag erlaubt. Ausnahmen davon wie beim Modellprojekt in der Schön-Klinik sind kompliziert. Dass künftig an die Stelle der täglichen Höchstarbeitszeit eine wöchentliche Maximalgrenze treten könnte, ist aus Sicht des arbeitsmarktpolitischen Sprechers der Unions-Fraktion, Marc Biadacz, auch wichtig, um den Standort attraktiver zu machen: Schließlich stehe Deutschland sowohl als Produktionsstandort als auch als Forschungs- und Entwicklungsstandort in Konkurrenz mit anderen Ländern, die flexiblere Arbeitszeitvorschriften haben, so der CDU-Politiker.
Die konkrete Ausgestaltung der künftigen Vorschriften will Schwarz-Rot in einem Dialog mit den Sozialpartnern klären. Von Arbeitgeber-Seite liegt die Zustimmung bereits vor. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagt: "Eine wöchentliche Höchstarbeitszeit passt besser in das Zeitalter der Digitalisierung als die strikte tägliche Höchstarbeitszeit." Und auch Dulger verweist auf positive Erfahrungen in anderen Ländern.
Gewerkschaften bleiben skeptisch
Die Gewerkschaften sehen das allerdings ganz anders. DGB-Chefin Yasmin Fahimi verweist auf eine aktuelle Befragung des DGB, wonach sich die meisten Beschäftigten geregelte tägliche Arbeitszeiten wünschen, 72 Prozent davon Arbeitstage mit maximal acht Stunden. Nur zwei Prozent der Befragten können sich Arbeitstage mit mehr als zehn Stunden vorstellen. Vereinbarkeitswünsche der Beschäftigten scheitern nach Einschätzung von Fahimi nicht am Arbeitszeitgesetz, sondern eher am fehlenden Willen der Arbeitgeber. Das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen, verbessere nicht die Situation der Beschäftigten, sondern allein die "Gestaltungsmacht der Arbeitgeber".
Angesichts dieser völlig unterschiedlichen Positionen ist noch unklar, zu welchen Ergebnissen der jüngst gestartete Sozialpartnerdialog führen kann. Der Dialogprozess soll im Herbst beendet werden, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium: Ziel sei, eine gute Lösung im Sinne des Gesundheitsschutzes, der Flexibilität und der betrieblichen Realität zu finden.
In der Münchner Schön-Klinik hofft Geschäftsführer Tim Egger, dass es schon bald zu einer Gesetzesänderung kommt: Das würde dem gesamten Gesundheitsmarkt mehr Flexibilität geben, vor allem auch den Mitarbeitern ermöglichen, ihre Arbeitszeit besser an ihren Lebensumständen auszurichten. Ohne Gesetzesänderung wäre man in der Klinik weiter auf Ausnahmegenehmigungen angewiesen.
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