Politisch ist die Debatte um die Bürgergeld-Reform noch nicht ausgestanden: Teile der SPD stemmen sich mit einer Unterschriftensammlung gegen die von der schwarz-roten Bundesregierung geplante Reform des Bürgergelds. Sie wenden sich gegen die vorgesehenen Verschärfungen von Sanktionen bei der Auszahlung des Bürgergeldes.
Wieder schärfere Sanktionen
Die Leistungskürzungen wegen mangelnder Kooperation sind derzeit gestaffelt: Sie beginnen bei zehn Prozent des Bürgergeld-Regelsatzes und enden bei 30 Prozent an Kürzungen. Nach dem Entwurf zur Bürgergeld-Reform soll es ein schärferes Vorgehen geben, wenn jemand nicht zu den vereinbarten Terminen im Jobcenter erscheint. Nach dem zweiten versäumten Termin würde man demnach sofort 30 Prozent weniger bekommen. Nach dem dritten versäumten Termin soll die Leistung ganz gestrichen werden, und zwar nicht nur der Regelsatz, sondern auch die Kosten für die Unterkunft. Ausnahmen für Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen soll es weiterhin geben.
Die Sozialverbände kritisieren, dass im äußersten Fall auch Wohn- und Heizkosten nicht weiterbezahlt werden. Die Nürnberger Jobcenter-Leiterin Renata Häublein bezeichnet das aber nicht als Sanktion, sondern als "vorübergehende Leistungseinstellung", wenn man den Verdacht habe, dass der Kunde zum Beispiel gar nicht in dem angegebenen Ort lebe.
Wohnkosten im Fokus - Mietwucher verhindern
Die Kosten der Unterkunft für Grundsicherungsempfänger sollen stärker gedeckelt werden. Bisher wird erst nach einem Jahr geprüft, ob die Miete als angemessen eingestuft wird. Nun soll ab dem ersten Tag des Leistungsbezugs darauf geschaut werden. Im ersten Jahr darf die Miete des Leistungsbeziehers maximal das Anderthalbfache der örtlichen Mietobergrenze betragen.
Zusätzlich sollen Kommunen auch maximale Mietpreise pro Quadratmeter angeben, um Mietwucher in überteuerten Kleinstwohnungen zu vermeiden. Die Leistungsbezieher sind dann verpflichtet, die Kosten zu senken – etwa durch Verhandlungen mit dem Vermieter oder einen Wohnungswechsel. Der Nürnberger Sozialrechtsexperte Bernd Eckhardt findet, dass dadurch die Verwaltung komplizierter wird. "Dann muss das ganze Jobcenter zum Mietrecht geschult werden."
Sozialgesetzgebung ist komplex: "Zu viel Schriftverkehr"
Bürgergeld-Empfänger erhalten Leistungen vom Jobcenter. Das Wohngeld wird über kommunale Behörden, der Kinderzuschlag wiederum von der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlt. Gerade bei der Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Behörden gebe es viel Schriftverkehr, beklagt Renata Häublein vom Nürnberger Jobcenter. Und auch Bernd Eckhardt, der 1996 mit der Arbeitslosenberatung begann, kritisiert, dass es eine "Zersplitterung" von Zuständigkeiten gebe. Das sei ineffektiv.
Experten: Reform bringt keine nennenswerten Einsparungen
An dem Gesetzesentwurf können noch Änderungen vorgenommen und Details ausgearbeitet werden. Was die Bürgergeld-Reform an Einsparungen oder Bürokratieersparnis bringen könnte, hängt auch davon ab, wie der Gesetzestext ausgestaltet wird. Mit nennenswerten Einsparungen rechnen Experten allerdings nicht. Manche befürchten sogar, dass die Neuregelungen zu zusätzlichem bürokratischem Aufwand in der Verwaltung führen.
Schon die Namensänderung von Bürgergeld zu Grundsicherung bedeutet ein Mehr an Aufwand. "Alle unsere Bescheide, die die Kunden bekommen, müssten dann von Bürgergeld in Grundsicherungsgeld-Bescheide umbenannt werden, und das dauert", sagt Häublein.
Wenige Jobs für kranke und gering qualifizierte Arbeitslose
Positiv bewertet die Nürnberger Jobcenter-Chefin Renata Häublein, dass nun auch schwierigere Fälle berücksichtigt werden und das Jobcenter Langzeitbeziehern mehr Unterstützung anbieten kann. Denn letzten Endes werden Kosten für das Bürgergeld oder dann für die Grundsicherung nur wesentlich sinken, wenn Leistungsbezieher ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst bestreiten können. Dabei gilt die Faustregel, dass pro 100.000 Menschen weniger im System rund eine Milliarde Euro eingespart werden. Doch dafür bräuchte es Jobs für Menschen, die es wegen gesundheitlicher Probleme, mangelnder Qualifikation oder Sprachkenntnisse schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben.
Zum Beispiel in Nürnberg: Hier haben mehr als 21 Prozent der arbeitssuchenden Leistungsempfänger keinen Schul-, fast 65 Prozent keinen Berufsabschluss. Sie seien auf Jobs auf Helferniveau angewiesen, erklärt Häublein. Und dieser Arbeitsmarkt breche gerade ein. "Es ist im Moment wirklich ein schwieriger Markt, in dem wir arbeiten müssen", sagt die Jobcenter-Chefin. Doch Besserung scheint kaum in Sicht zu sein: Arbeitsmarktexperten erwarten nur eine schwache Herbstbelebung.
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