Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderung steigt, wie das "Inklusionsbarometer Arbeit" des Vereins Aktion Mensch zeigt. Demnach liegt die Arbeitslosenquote unter ihnen in Bayern bei fast zehn Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderung im Freistaat lag im Jahresdurchschnitt bei 25.677. Im Oktober 2025 waren rund 28.540 Menschen mit Behinderung ohne Anstellung, fast neun Prozent mehr als im Vorjahresmonat.
Von der Werkstätte in die Festanstellung
Für Christoph Wechsler soll der Traum von einer Festanstellung bald in Erfüllung gehen. Der 28-Jährige hat eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Um den Sprung von den Oberland Werkstätten für Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, hat er sich in den vergangenen Monaten schon bei der Motoren- und Maschinenbaufirma Bauer in Weilheim bewiesen. Nun will ihn die Firma fest einstellen. Wechsler wäre dann schon der fünfte Mitarbeiter, den die Oberland Werkstätten zu Bauer vermitteln konnten.
Viel häufiger als Festanstellungen sind jedoch Außenarbeitsplätze. Hier verleihen Werkstätten ihre Mitarbeiter an Betriebe.
Im Fall von Christoph Wechsler zahlt die Firma Bauer der Werkstatt den branchenüblichen Mindestlohn. Allgemein betrachtet, liegt die Entlohnung der Werkstattbeschäftigten jedoch weit darunter, weil das Mindestlohngesetz auf sie oftmals gar nicht angewendet wird. Grund dafür: Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen gelten rechtlich meist nicht als Arbeitnehmer, sondern als "arbeitnehmerähnliche Personen" in einem Reha‑ bzw. Werkstattverhältnis.
Weil die Mitarbeiter meist nicht voll belastbar sind, bekommen Betriebe bis zu 75 Prozent der Lohnkosten von den Integrationsämtern und Bezirken erstattet.
VdK: "Werkstätten müssten flexibler werden"
Für Werkstätten ist es aus finanzieller Sicht langfristig unattraktiv, Mitarbeitende an den ersten Arbeitsmarkt abzugeben. Denn die Qualifizierung und Begleitung leistet die Werkstatt, wofür sie Betreuungserlöse vom Bezirk und Zuwendungen aus Maßnahmen wie BÜWA (begleiteter Übergang Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt) erhält. Wenn Mitarbeitende bei einer Partnerfirma arbeiten, kommen noch die Stundensätze von Firmenseite dazu. Wechselt ein Mitarbeitender aber fest zur Firma, brechen alle Einnahmen für die Werkstatt sofort weg.
Damit aus einem ausgelagerten Arbeitsplatz einer Werkstatt ein fester Job wird, bräuchten Betroffene noch mehr Unterstützung, so der Sozialverband VdK. "Die Menschen mit Behinderung wissen teilweise nicht, welche Möglichkeiten sie haben", berichtet Jan Gerspach vom VdK Bayern. Die Werkstätten müssten "auch flexibler werden, den Menschen, die Potenzial haben, auch wirklich diese Chance zu geben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen", so Gerspach.
Mitarbeiterin übt Kritik an Werkstätten-Konzept
Die 35-jährige Lea (Name von der Redaktion geändert) kritisiert Werkstätten für Menschen mit Behinderung als "Sackgasse" und wandte sich mit ihrer Geschichte an den BR. Lea leidet unter Sozialphobien und musste deshalb ihren Job aufgeben. Auf Empfehlung der Arbeitsagentur arbeitet sie in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, um den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu schaffen. Ein Fehler, wie sie mittlerweile sagt.
Auch Lea wurde von ihrer Werkstatt entliehen. Über mehrere Monate machte sie Praktika, war auf Außenarbeitsplätzen tätig. Trotz guter Rückmeldungen der Betriebe bekam sie am Ende aber keine feste Stelle. "Die Firma, an welche man verliehen wird, profitiert von einer günstigen Arbeitskraft ohne Kündigungsschutz sowie dem positiven Image. Die Werkstatt profitiert von dem Geld, das die Firma für mich bezahlt, und den weiterhin bekommenen staatlichen Zuschüssen", erklärt Lea.
VdK appelliert an Unternehmen
Über 37.000 Werkstattmitarbeiter gibt es in Bayern. Weniger als ein Prozent davon hat es laut Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) im vergangenen Jahr in eine Festanstellung geschafft. Und das, obwohl es Maßnahmen wie das "Budget für Arbeit" und "BÜWA“ gibt, die beide zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen dienen, die aus einer Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln möchten.
Betriebe ab einer Größe von 20 Mitarbeitern, die keine Menschen mit Behinderung anstellen, müssen eine Ausgleichsabgabe zahlen. Doch diese landet zum Teil wieder bei den Werkstätten. Zudem können sich Arbeitgeber von der Inklusionspflicht über Aufträge in Werkstätten quasi freikaufen. "Unsere Idee als VdK wäre, dass die Unternehmen diese Menschen mit Behinderung wirklich anstellen auf dem ersten Arbeitsmarkt", fordert Gerspach.
Transparenzhinweis: In einer früheren Fassung des Textes vom 28.11.25 hieß es fälschlicherweise, "Diese (Unternehmen) bezahlen der Werkstatt für jeden Mitarbeiter den branchenüblichen Mindestlohn." Korrekt ist, dass sich das nur auf den Fall von Christoph Wechsler bezieht und allgemein betrachtet, die Entlohnung der Werkstattbeschäftigten weit darunter liegt. Das haben wir am 01.12.25 um 14:30 Uhr korrigiert.
Im Video: Doris Rauscher zur Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt
Doris Rauscher, SPD-MdL, äußert sich zum Thema Inklusion auf dem Arbeitsmarkt.
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