Zum 1. November 2025 ist der neue Hebammen-Hilfevertrag in Kraft getreten - unter großem Protest der vier Hebammenverbände deutschlandweit, denn: Freiberufliche Hebammen in den Kreißsälen befürchten rund 30 Prozent weniger Einkommen, weil ihre Tätigkeit künftig anders abgerechnet wird. An rund 20 bayerischen Kliniken haben freiberufliche Hebammen ihre Tätigkeit auf der Geburtsstation gekündigt. Das hat eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks an Krankenhäusern mit Geburtshilfe ergeben.
Von 100 befragten Einrichtungen haben sich 40 zurückgemeldet. Demnach hätten an jeder zweiten Klinik einzelne Beleghebammen wegen des neuen Hebammenhilfevertrages ihre Arbeit aufgegeben. Weitere wollten abwarten, wie sich die Einnahmen konkret auswirken.
In Bayern besonders viele Hebammen betroffen
In Bayern sind besonders viele Hebammen betroffen. 75 Prozent der Geburtsstationen in Bayerischen Kliniken werden von freiberuflichen Hebammen im sogenannten Belegsystem betrieben, so der Deutsche Hebammenverband. Sie organisieren die Arbeit rund um die Kreißsäle eigenständig. 25 Prozent der Kliniken in Bayern arbeiten mit festangestellten Hebammen, zum Beispiel das Klinikum Nürnberg oder die Anregiomed-Klinik in Ansbach. Deutschlandweit sei das Verhältnis aber umgekehrt.
Für die Krankenversicherungen ist das Belegsystem teurer. Sie zahlen Fallpauschalen an die Klinik, für Räumlichkeiten und Einrichtung. Und bezahlen die Tätigkeiten der Hebammen nach individueller Abrechnung.
In der Praxis: Geburtshilfe wird unattraktiv
Im Büro des Kreißsaals im Klinikum Altmühlfranken im mittelfränkischen Weißenburg herrscht großer Frust. Hebammen sitzen über Tabellen, in der sie ihre Tätigkeit im Fünfminutentakt für jede Frau einzeln dokumentieren müssen. "So macht das keinen Spaß mehr", sagt Hebamme Inge Knöll. Der Zuschlag für eine Eins-zu-eins-Betreuung falle weg, wenn eine zweite Frau mit Wehen komme. Je mehr zu tun sei, desto weniger werde im Verhältnis bezahlt. "Wenn ich Geburtshilfe mache im Nachtdienst, bekomme ich genauso viel bezahlt, wie wenn ich mich tagsüber in der Praxis mit der Frau unterhalte", so Knöll. Dabei könne eine Geburt von jetzt auf gleich ein Intensiv-Fall werden, sagt Hebamme Claudia Junge. Beide arbeiten seit mehr als 30 Jahren im Weißenburger Kreißsaal.
Ihre 25-jährige Kollegin Katharina Spieler hat zum Jahresende gekündigt: "Für mich ist es super unattraktiv, in diesem Job weiterzuarbeiten. Gerade an den stressigen Tagen passt es von der Abrechnung gar nicht mehr." Viele freiberufliche Hebammen wollen künftig nur noch in der Vor- und Nachsorge arbeiten und Kurse anbieten.
GKV-Spitzenverband: kleinere Nachbesserungen
Nach einem rechtlich bindenden Schlichtungsverfahren zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und den Hebammenvertretungen traten die Änderungen im November in Kraft.
Der Spitzenverband hatte im September Nachbesserungen angeboten. Diese Vorschläge wurden allerdings bisher abgelehnt, so der Deutschen Hebammenverband.
Wäre eine Festanstellung eine Lösung?
Das Klinikum Altmühlfranken hat angeboten, die zehn Hebammen seiner Geburtshilfe-Abteilung in Weißenburg ab dem neuen Jahr fest anzustellen. Für die Hebammen würde das zwar finanzielle Sicherheit, aber weniger Einkommen mit sich bringen. "Wir konnten immer so arbeiten, wie es für die Frauen gut war", sagt Claudia Junge - auf Abruf und rund um die Uhr. Die Verantwortung und der Zeitaufwand seien bisher adäquat bezahlt worden. Dass dies nun so nicht mehr honoriert werde, sei bitter. "Wenn es gar keine andere Lösung mehr gibt, wäre Festanstellung eine Option", sagt Claudia Junge. Die Verhandlungen laufen.
Die Geburtenstation in Weißenburg soll auf jeden Fall bestehen bleiben - auch weil in umliegenden Kliniken in der Region in den letzten Jahren zahlreiche Kreißsäle geschlossen haben. "Wir sind positiv gestimmt, dass wir eine tragbare Lösung für alle finden werden", so Vorstand Christoph Schneidewin.
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