Ausgegrenzter Junge in einer Schulklasse
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(Symbolbild) Ausgrenzung und Diskriminierung gehört für Sinti und Roma an deutschen Schulen zum Alltag, wie ein Bericht zeigt.

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Rassismus auf dem Schulhof: Diskriminierung von Sinti und Roma

Rassismus auf dem Schulhof: Diskriminierung von Sinti und Roma

Kinder aus Roma- und Sinti-Familien erfahren an deutschen Schulen immer wieder Diskriminierung und Rassismus. Das bestätigt ein neuer Bericht. Dabei geht es um viel mehr als um plumpe Beleidigungen von Sinti- und Romakindern auf dem Schulhof.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Abend am .

Ein Kind wird in der Schule von einem Mitschüler regelmäßig mit dem Z-Wort beleidigt und geschlagen. Die Eltern melden den Vorfall der Schulleitung – und die bleibt untätig. Das seien halt Kinder, heißt es.

Das Beispiel stammt aus einem neuen Bericht der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) (externer Link). Antiziganismus ist das Fachwort für Handlungen und Einstellungen, die sich gegen Roma oder Sinti richten – das heute allgemein als rassistisch angesehene "Z-Wort" ist in dem Fachbegriff noch erkennbar. Ein Blick in den Alltag zeigt, dass Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti- und Roma-Kindern in Deutschland tatsächlich keine Seltenheit sind.

"Sinti und Roma versuchen oft, Vorfälle auszusitzen"

Michelle Berger leitet eine Beratungsstelle des Verbandes Deutscher Sinti und Roma in Nürnberg. Auch sie meldet Verdachtsfälle an die MIA, wenn sie davon erfährt. Das ist nicht selbstverständlich. "Sinti und Roma versuchen oft, Vorfälle auszusitzen", sagt Berger. Sie würden hoffen, dass sich schon alles zum Besseren wende.

Im MIA-Bericht ist von einem "sehr kleinen Ausschnitt der tatsächlichen Anzahl" der Fälle die Rede. 484 Vorfälle seit dem Jahr 2023 im Bildungsbereich hat die MIA dennoch in den vergangenen zwei Jahren zusammengetragen – an Schulen, Universitäten und Kindertagesstätten. Dabei geht es um Diskriminierung, um das "Z-Wort" ebenso wie um handfeste Gewalt.

Antiziganismus auch im Bildungssystem verankert

Es sind aber weniger die Beleidigungen auf dem Schulhof, die Michelle Berger umtreiben. Sicher, auch die nimmt sie ernst. Das große Problem sei aber der institutionelle Antiziganismus, der tief im Bildungssystem verankert ist. Berger erzählt, dass Kinder aus Sinti- oder Roma-Familien pauschal in Förderschulen geschickt worden seien. Sie habe es selbst erlebt, dass Lehrkräfte eine Rückstellung von Schülern um ein Jahr empfohlen hätten, obwohl das aus Sicht von Fachleuten nicht angebracht gewesen sei.

Dass die Lehrkräfte dabei nicht unbedingt in böser Absicht handeln, weiß Berger: "Gerade das ist das Gefährliche daran", sagt sie. Die Lehrerinnen und Lehrer meinten es eigentlich gut mit den Kindern. Aber an ihren tief sitzenden Vorurteilen, die seit Jahrhunderten in der Gesellschaft tradiert werden, kommen sie offenbar nicht vorbei.

Roma-Schüler werden seltener fürs Gymnasium empfohlen

Dass das nicht nur Hirngespinste sind, bestätigt Philipp Jugert, Professor für Interkulturelle Psychologie an der Uni Duisburg-Essen. Er hat für eine Studie Lehramtsstudierenden Profile von Schülern vorgelegt. Die Leistungen unterschieden sich dabei nicht, aber in den Profilen waren Hinweise auf die ethnische Herkunft der Schulkinder. Dabei wurde Kindern mit Migrationshintergrund – zum Beispiel aus türkischen Familien oder eben Roma – eher der Übertritt auf die Hauptschule empfohlen als aufs Gymnasium oder die Realschule. "Aber diesen Roma-Schülern wurde eben noch weniger zugetraut. Das heißt, die wurden eher noch weniger fürs Gymnasium empfohlen."

Um den Vorurteilen entgegenzuwirken, schlägt die MIA in ihrem Bericht unter anderem Bildungsberater vor, die eine "gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Sinti und Roma im öffentlichen Bildungswesen" sicherstellen sollen. Außerdem sollten demnach Menschen aus den Sinti- und Roma-Gemeinschaften vermehrt an Schulen eingesetzt werden. Beim Bayerischen Kultusministerium verweist man unter anderem auf speziell geschulte Lehrkräfte oder Psychologen, die für diskriminierungsfreie Schulen sorgen sollen.

Die eigene kulturelle Brille erkennen

Psychologe Jugert sieht das größte Potenzial bei jungen, angehenden Lehrkräften. "Kulturell responsives Unterrichten" heißt ein Ansatz, bei dem Lehrende im Unterricht mit den unterschiedlichen kulturellen Hintergründen der Kinder arbeiten sollen. Dafür müssten die Lehrkräfte aber zunächst ihre eigene kulturelle Brille erkennen: "...sich bewusst zu sein, dass wir alle manchmal voreingenommen sind und es nicht nur ein paar böse Rassisten gibt, die man identifizieren muss."

Immerhin macht der MIA-Bericht auch Hoffnung: So ist die Zahl derer, die sich bei Übergriffen oder Beleidigungen helfend vor die Betroffenen stellen, im vergangenen Jahr gestiegen. Und mehr gemeldete Fälle können auch bedeuten, dass es ein größeres Bewusstsein gibt – und sich mehr Menschen trauen, Hilfe zu holen.

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