Hans-Günther Bauer vom Max Planck Institute of Animal Behavior in Konstanz zählt seit Jahrzehnten Zugvögel. Auch Reiherenten, die im Sommer unter anderem in Russland leben. Normalerweise überwintern sie am Bodensee. In den besten Zähl-Monaten waren über 100.000 Reiherenten da. "Jetzt hätten wir eigentlich erwarten können, dass hier circa 60.000 Reiherenten rasten. Aber wir haben gerade mal 4.000 auf dem Bodensee. Wir sind also auf einem minimalen Bestand."
Zugvögel bleiben in ihren heimischen Gebieten
Das heißt aber nicht, dass sie verschwunden sind. Sie sind nur nicht hier. "Die Reiherenten haben es nicht nötig, zu uns zu kommen. Das Klima hat sich so verändert im Norden, dass sie dort bleiben können. Denn es sind nicht mehr alle Gewässer zugefroren. Sie können dort Nahrung finden und müssen nicht mehr lange Zugstrecken wagen."
Zugvögel, die schon zu ihren Überwinterungsquartieren in Spanien oder Afrika aufgebrochen sind, werden im Frühjahr bei der Rückkehr in ihre Brutgebiete eine andere Strategie anwenden.
Richtiger Zeitpunkt für die Rückkehr
Viele Zugvögel entschließen sich in den letzten Jahren viel zeitiger als früher zum Rückzug, sagt Professor Franz Bairlein, Direktor im Ruhestand des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven: "Das sehen wir auch in Bayern. Die Mönchsgrasmücke kehrt aus ihren Wintergebieten im westlichen Mittelmeergebiet drei Wochen früher zurück, als noch vor circa 40 Jahren."
Es gab zwar schon immer Zugvögel, die früher als alle anderen zurückgeflogen sind. Aber gut war das nicht für sie, sagt Bairlein: "Die hatten Nachteile, weil die Frühjahre noch kalt waren. Dadurch gab es noch keine Nahrung. Wer früher zu früh zurückkam aufgrund seines genetischen Programms, hatte keine Überlebenschance."
Klimawandel verändert Futter-Angebot
Und nicht nur das: Denn Zugvögel wollen ja ihre Nachkommen aufziehen. Dazu brauchen sie je nach Vogelart besondere Insekten und von denen am besten sehr viele. Angebot und Nachfrage passten bisher zeitlich perfekt zusammen. Durch den Klimawandel aber nicht mehr.
Die Vegetation entwickelt sich früher und auch die Insekten sind zeitiger da. Überleben können jetzt nicht mehr die Zugvögel, die so wie immer in ihren Brutgebieten ankommen, sondern die, die früher da sind. "Sie überleben, weil die Bedingungen milder geworden sind. Sie finden ihre passende Nahrung und haben einen höheren Fortpflanzungserfolg", sagt Franz Bairlein. "Und ihr genetisches Verfrühungsprogramm vererben sie per Mikroevolution. So setzten sich diese verfrühten Zugvögel als Gruppe zunehmend durch."
Aber auch diese Strategie reicht nicht mehr. Denn es wird immer wärmer. Das wurde zum Beispiel dem Trauerschnäpper zum Verhängnis.
Eine Frage des Überlebens
In den Niederlanden ist der Bestand des Trauerschnäppers um 90 Prozent eingebrochen. Nicht nur, aber auch aufgrund des Klimawandels. Und das, obwohl der Langstreckenzieher zeitiger aus seinem Winterquartier in Afrika zurückkehrte. Dann braucht er in seinem Brutgebiet Insekten, die auf frisch gebildeten Blättern im Wald leben. Durch den Klimawandel hat der Laubaustrieb aber noch früher begonnen und seine Nahrung war noch zeitiger da als der kleine Vogel. Er hatte keine Chance. "Es gibt dann nicht mehr genügend Nahrung, um die Jungen erfolgreich aufzuziehen", erklärt Bairlein.
Die Passgenauigkeit zwischen dem Nahrungsangebot und der Rückkehr des Zugvogels hat nicht mehr funktioniert. Das ist der sogenannte Mismatch, den der Klimawandel bedingt.
Immer früher heimkehren: Zugvögel müssen variabel sein
Zugvögel müssten also jedes Jahr noch früher zurückkehren. Oder neue Brutgebiete erschließen. Franz Bairlein: "Wir müssen genau hinschauen, welche Konsequenzen der Klimawandel hat. Es gibt Organismen, die einen Vorteil dadurch haben, dass es milder geworden ist."
Im Audio: Wie der Klimawandel die Zugvögel betrifft
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