Milchkühe, die ganzjährig angebunden sind - das wird seit Jahrzehnten heftig kritisiert. Cem Özdemir, bisheriger grüner Landwirtschaftsminister, wollte ein Verbot. Doch ein neues Tierschutzgesetz, das er auf den Weg brachte, wurde nicht mehr verabschiedet. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung steht dazu nichts. Und Alois Rainer, der zukünftige Bundeslandwirtschaftsminister, hat bereits klar gemacht: es werde kein generelles Verbot geben. Also alles wieder auf Anfang?
Tierschützer sind empört: "Uraltes Auslaufmodell"
Claudia Salzborn kann ihre Enttäuschung kaum verbergen. Die Veterinärin ist beim Deutschen Tierschutzbund zuständig für Tiere in der Landwirtschaft: "Es ist der massivste Einschnitt für ein Tier, den ganzen Tag an einer Stelle angebunden zu stehen." Es sei „einfach an der Zeit“, dieses „uralte Auslaufmodell“ endlich zu verbieten.
Fachleute widersprechen sich
Hans Hinrich Sambraus, Fachtierarzt und emeritierter Professor für Tierhaltung an der TU München, argumentiert anders: Die ganzjährige Anbindehaltung bei Rindern sei vertretbar, allerdings: "Die Tiere müssen ungehindert aufstehen können, die Liegeplätze müssen breit und lang sein und das Halsband muss locker sein." Dann gebe es keine Anzeichen von Verhaltensstörungen oder Anzeichen, dass sich die Tiere nicht wohlfühlten. Tierschützerin Salzborn widerspricht: "Auch wenn die Tiere gesund sind, heißt das noch lange nicht, dass es ihnen gut geht." Tierschützer krisieren immer wieder kritische Zustände in Anbindeställen.
Ausstieg: Freiwillig oder mit Verbot?
Was sagt die Politik? 2015 diskutieren die Agrarminister der Länder erstmals über ein generelles Aus der Anbindehaltung. 2021 verkündete Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) in einer Regierungserklärung: "Mit dem heutigen Tag beginnt der Einstieg in den Ausstieg der Anbindehaltung." Nach heftiger Kritik relativierte sie ihre Aussage und setzt seitdem auf Freiwilligkeit, auf Förderung für Stallumbauten und darauf, dass Anbindeställe von allein verschwinden. Auch jetzt bekräftigt Kaniber: "Wir lehnen ein gesetzliches Verbot der Anbindehaltung mit Fallbeil-Datum weiter ab."
Neuer Minister Rainer plant kein Verbot
Ähnlich positioniert sich der zukünftige Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU). Auch er will keine Fristen festlegen, sagt er im BR-Interview: "Es ist nicht mehr die Anbindehaltung, wie wir sie noch von vor 30 Jahren kennen. Wenn man an sowas denkt, muss man über einen langen Übergangszeitraum sprechen." Fakt ist, dass es noch viele Ställe mit sogenannten Kurzständen gibt: der Stand- und Liegeplatz ist nur 1,60 Meter lang. Ein tierschutzrelevantes Problem, weil Kühe durch Züchtung inzwischen immer größer wurden und nun mit den Hinterbeinen auf dem Gitterrost des Güllekanals stehen.
Anbindehaltung: Bayern ist Spitzenreiter
Seit den 1980er Jahren werden in Deutschland keine Anbindeställe mehr gebaut. Dennoch gibt es in Bayern noch viele: Von gut 22.000 Milchviehbetrieben sind in rund 10.000 Ställen die Tiere noch angebunden: ganzjährig (7.000 Betriebe) oder in Kombihaltung (3.000 Betriebe, darunter auch Biobetriebe). Kombihaltung bedeutet: Die Kühe müssen zumindest zeitweise Auslauf bekommen. Entweder im Sommer auf der Weide oder ganzjährig jeden Tag stundenweise in einem Laufhof.
Kombihaltung als Lösung
Die Kombihaltung weiterhin zu erlauben - so stand es im Entwurf für ein neues Tierschutzgesetz. Darauf hatte der bayerische grüne Bundestagsabgeordnete Karl Bär gedrängt. Bär ist Mitglied im Agrarausschuss des Bundetags. Vor allem kleine Betriebe im Voralpenland würden andernfalls verschwinden, so Bär. Aber die ganzjährige Anbindehaltung habe große Akzeptanzprobleme, so Bär: "Das zu ignorieren ist nicht nur aus Tierschutzsicht die schlechteste Lösung, sondern auch für die Landwirtschaft sehr riskant."
Lebensmitteleinzelhandel will freilaufende Kühe
Damit spricht Karl Bär einen wunden Punkt an. Während die Politik das Problem nicht löst, schaffen Molkereien und Lebensmitteleinzelhandel längst Fakten. Discounter wollen nur Milch von freilaufenden Kühen und setzen die Molkereien unter Druck. Einige bayerische Molkereien zahlen den Landwirten bereits gestaffelte Milchpreise: für Freilauf und Weidegang mehr, für Anbindehaltung weniger. Zwei Molkereien verarbeiten bereits Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung nicht mehr in ihren Markenprodukten, sondern verkaufen sie auf dem Weltmarkt.
In Österreich ist Anbindehaltung bereits verboten
In Österreich, wo die Landwirtschaft ähnlich strukturiert ist wie in Bayern, ist die ganzjährige Anbindehaltung seit fünf Jahren verboten. Tiere mit Weidegang im Sommer müssen auch im Winter zumindest zeitweise Bewegung bekommen. Laut dem österreichischen Landwirtschaftsministerium gab es kein großes Höfesterben deshalb. Entscheidend sei gewesen: eine lange Übergangsfrist und Planungssicherheit.
Dieser Artikel ist erstmals am 1. Mai 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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