Menschen, die in Reinigungsberufen arbeiten, fielen 2024 im Schnitt über 31 Tage – also insgesamt über einen Monat – aus. Das zeigen Daten der Betriebskrankenkassen (BKK), die BR-Datenjournalistinnen ausgewertet haben. Der Krankenstand unter den BKK-Versicherten in der Branche ist so hoch wie in keiner anderen.
Grafik: Diese Krankheiten dominieren die Ausfalltage je Branche
"Der Krankenstand in Reinigungsberufen ist tatsächlich tendenziell höher, da die Arbeit körperlich sehr belastend ist", schreibt Frank Tekkiliç, Pressesprecher der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, die auch Reinigungskräfte vertritt. Zudem gebe es nach zu selten eine Personalbedarfsplanung, die für eventuelle Ausfälle schnell Ersatz parat hat. Das habe negative Folgen für die Beschäftigten, die die zusätzliche Arbeit mittragen müssen.
Bei einem Krankenstand von 8,6 Prozent waren statistisch gesehen bei einem Betrieb mit 100 Mitarbeitenden an einem durchschnittlichen Tag knapp neun krankgeschrieben. Sie fallen am häufigsten aufgrund von Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems aus – im Schnitt ganze neun Tage im Jahr 2024. "Zu verzeichnen sind Rücken- und Schulterprobleme sowie Muskelverspannungen", sagt Tekkiliç.
Grafik: Reinigungsberufe – diese Erkrankungsgruppen dominieren den Krankenstand
An zweiter Stelle stehen Menschen, die in der Verkehrs- und Logistikbranche tätig sind, also beispielsweise Berufskraftfahrerinnen und -fahrer oder Paketzustellerinnen und -zusteller. Die schwerwiegendsten Ursachen für Krankschreibungen sind Rückenschmerzen, Bandscheibenschäden oder Schulterverletzungen.
Grafik: Diese Diagnosen aufgrund von Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems verursachen Fehlzeiten
Dargestellt sind die beiden Branchen mit den meisten und wenigsten Ausfalltagen 2024 und zwei Branchen, die im Mittelfeld liegen.
Psychische Erkrankungen treffen Menschen in Sozialberufen
Ein Blick in eine andere Branche: Psychische Erkrankungen machen bei Menschen, die in kulturellen und sozialen Dienstleistungsberufen arbeiten, einen großen Teil der Krankschreibungen aus: "Besonders in Tätigkeitsfeldern, in denen die Arbeit mit Menschen im Mittelpunkt steht, zum Beispiel in Gesundheits- oder Erziehungsberufen, sind Fehlzeiten auf Grund psychischer Erkrankungen ausgeprägt", schreibt Nikolaus Melcop, Präsident der Psychotherapeutenkammer Bayern, dem BR.
Diese Berufsgruppen seien durch ein hohes Maß an psychosozialem Stress, emotionaler Beanspruchung und häufig auch durch strukturelle Belastungen gekennzeichnet. Die Krankschreibungen aufgrund von psychischen Erkrankungen steigen seit Jahren stetig. Besonders häufig sind Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sowie Depressionen die primäre Ursache für Krankschreibungen aufgrund der Psyche.
Grafik: Diese Diagnosen aufgrund von Psychischen Erkrankungen verursachen Fehlzeiten
Dargestellt sind die beiden Branchen mit den meisten und wenigsten Ausfalltagen 2024 und zwei Branchen, die im Mittelfeld liegen.
Kita-Verband: Kurzzeitige Erkrankungen bringen das System an die Grenzen
Hinzu kommt: "In unserem Beruf können wir uns gegen Viren nur bedingt schützen", schreibt Kathrin Niedermeier, Referentin des Verbands Kita-Fachkräfte Bayern e.V. "Natürlich kommt es immer wieder vor, dass Kinder in der Einrichtung Symptome entwickeln. Leider beobachten wir aber auch oft, dass kranke Kinder in die Einrichtung gebracht werden." Und: Häufige kurzzeitige Erkrankungen belasten das Team sofort. "Viele kommen trotz Erschöpfung zur Arbeit, um die Kita am Laufen zu halten. Das bringt Mitarbeitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und das gesamte Kita-System – langfristig an ihre Grenzen", sagt Niedermeier.
Etwa ein Viertel der Fehltage von Menschen, die in sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen arbeiten, etwa Erzieherinnen, Erzieher oder Dozentinnen und Dozenten, entfiel 2024 auf Erkrankungen des Atmungssystems – also beispielsweise Nasenhöhlen, Rachen, Bronchien oder Lunge. Eine einzelne Krankschreibung wegen eines Atemwegsinfekts dauert im Schnitt sechs Tage, also über eine Arbeitswoche.
Grafik: Soziale und kulturellen Dienstleistungen – diese Erkrankungsgruppen dominieren den Krankenstand
2024 waren Erkrankungen des Atmungssystems für zwanzig Prozent der Krankentage in Bayern verantwortlich. Damit zählen sie neben Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems oder der Psyche zu den Hauptgründen für krankheitsbedingte Fehlzeiten – deutlich mehr als etwa Verletzungen oder Verbrennungen, die in Bayern etwa elf Prozent der Krankschreibungstage ausmachen.
Experte: Gestiegene Ausfall-Tage sind nicht zwangsläufig negativ
"Man kann beobachten, dass in bestimmten Berufsgruppen tatsächlich Leute häufiger krank arbeiten gehen", sagt Marvin Reuter. Der Juniorprofessor für Soziologie an der Universität Bamberg ist spezialisiert auf die Bereiche Arbeit und Gesundheit. "Vor allem betrifft das Berufe, für die eine geringere Qualifikation benötigt wird, die schlechter bezahlt sind und in denen die Beschäftigten stärker darauf angewiesen sind, irgendwie arbeiten zu gehen – aus Angst, den Job zu verlieren, aus Sorge vor verärgerten Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten."
Auf der anderen Seite könnten Krankschreibungen für ein geregeltes Arbeitsumfeld sprechen: Menschen in stabilen Beschäftigungsverhältnissen, die zum Teil auch tariflich geregelt sind, trauen sich eher, auch wirklich zu Hause zu bleiben und sich krankzumelden. "Gestiegene Arbeitsunfähigkeitstage sind nicht zwangsläufig negativ, sondern können auch einfach bedeuten, dass Leute das Recht auch in Anspruch nehmen, sich zu erholen, wenn sie krank werden", sagt Reuter.
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