Leif Erik Sander, Klinikdirektor der Infektiologie an der Charité
Leif Erik Sander, Klinikdirektor der Infektiologie an der Charité
Bild
Leif Erik Sander, Klinikdirektor der Infektiologie an der Charité sagt: "Mit Covid-19 ist eine weitere große Atemwegserkrankung dazu gekommen."
Bildrechte: Kirsten Girschick; picture alliance / ZB | Patrick Pleul; Montage: BR
Schlagwörter
Bildrechte: Kirsten Girschick; picture alliance / ZB | Patrick Pleul; Montage: BR
Audiobeitrag

Leif Erik Sander, Klinikdirektor der Infektiologie an der Charité sagt: "Mit Covid-19 ist eine weitere große Atemwegserkrankung dazu gekommen."

Audiobeitrag
>

Atemwegserkrankungen verursachen jeden fünften Krankentag

Atemwegserkrankungen verursachen jeden fünften Krankentag

20 Prozent der Fehltage in Bayern lassen sich auf Atemwegserkrankungen zurückführen. Vor allem bestimmte Dienstleistungsberufe sind davon betroffen. Das zeigt eine BR-Auswertung von Daten der Betriebskrankenkassen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

"In den ersten Jahren nach der Corona-Pandemie haben wir starke Wellen von Infektionskrankheiten", sagt Wiebke Gritze. Sie ist Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in einer Gemeinschaftspraxis in Starnberg. Kontrovers-Die Story hat Gritze in ihrer Praxis besucht. Dort sei sie in dieser Zeit mit vielen Patientinnen und Patienten geflutet worden.

Im Video: Melden wir uns zu oft krank? Deutschland im Krankenstand | Die Story | Kontrovers

Die Eindrücke von HNO-Ärztin Gritze decken sich mit den Zahlen. Die Atemwegserkrankungen haben Deutschland und Bayern fest im Griff. 2024 verursachten sie 20 Prozent der Krankentage im Freistaat. Das zeigt eine exklusive Auswertung der BR-Datenjournalistinnen von Daten des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK).

Grafik: So haben sich die Fehltage aufgrund Erkrankungen des Atmungssystems entwickelt

Seit 2021 sind die Krankschreibungen, die bei der Krankenkasse eingegangen sind, deutlich angestiegen. Das hat mehrere Gründe. In diesem Zeitraum wurde die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) für Arztpraxen verpflichtend eingeführt. Die Krankschreibung gelangt jetzt direkt von der Arztpraxis zum Arbeitgeber und zur Krankenkasse. Die Statistik werde dadurch genauer.

Corona sorgt für Anstieg der Ausfalltage

Aber: Der Anstieg lässt sich laut Experten nicht nur durch die Einführung der eAU erklären. Ein weiterer Grund ist Corona, direkt und indirekt: "Mit Covid-19 ist eine weitere große Atemwegserkrankung dazu gekommen, die es vorher nicht gab", erklärt Leif Erik Sander, Klinikdirektor der Infektiologie an der Charité Berlin. "Die macht ungefähr genauso eine hohe Krankheitslast wie die saisonale Grippe."

Sander warnt davor, Atemwegserkrankungen auf die leichte Schulter zu nehmen: "Wir wissen, dass in den zwölf Monaten danach das Risiko für andere, auch neue Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems enorm ansteigt." Impfungen könnten dieses Risiko verringern. Er beobachte auch, dass Menschen nun sensibler seien: "Menschen bleiben mit einem Atemwegsinfekt eher zu Hause, weil sie die Kolleginnen und Kollegen nicht anstecken wollen, wenn sie kein Homeoffice machen können."

Aus den BKK-Daten wird auch deutlich, welche konkreten Diagnosen auf den Krankschreibungen für die meisten Fehltage sorgen. Mit großem Abstand ist das die Diagnose "Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher gekennzeichnet", die sich hinter dem ICD-Code J06 versteckt. Dieser sogenannte Primärcode liegt der Auswertung der BKK-Krankenkassen-Daten zugrunde. Das heißt: Welches Virus genau, die oberen Atemwege angegriffen hat und zu einer Krankschreibung führt, lässt sich nicht nachvollziehen.

Grafik: So haben sich Ausfalltage aufgrund von einzelnen Diagnosen zum Atmungssystem entwickelt

Hinweis: Da es sich um Diagnose-Untergruppen handelt, werden die Fehltage hier je 1.000 Beschäftigte angegeben, nicht wie bisher je Beschäftigtem.

Im Schnitt kamen 2024 auf 1.000 bayerische BKK-versicherte Beschäftigte knapp 680 Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen, eine Krankschreibung betrug im Schnitt knapp sechs Tage, fast eine Woche – hochgerechnet ist das eine große Belastung für viele Unternehmen.

Soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe besonders betroffen

Besonders betroffen sind Beschäftigte in sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen – also zum Beispiel Erzieherinnen und Erzieher oder Dozentinnen und Dozenten. Jede oder jeder von ihnen war 2024 im Schnitt über sechs Tage aufgrund von Erkrankungen des Atmungssystems krankgeschrieben. "Wenn Sie in einem Beruf arbeiten, in dem Sie praktisch tätig sind oder an Menschen und mit Menschen arbeiten, da können Sie kein Homeoffice machen", sagt Sander von der Charité. Hinzu kommt eine hohe Exposition durch den Kontakt mit den Menschen – besonders in der Kinderbetreuung.

An zweiter Stelle stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in (nicht-)medizinischen Gesundheitsberufen, darunter fallen Ärztinnen und Pfleger, aber auch Kosmetiker. Am wenigsten waren Menschen in der IT oder in der Unternehmensführung und -organisation aufgrund von Erkrankungen der Atemwege arbeitsunfähig gemeldet.

Grafik: Diese Branchen sind besonders betroffen

Wie stark Atemwegserkrankungen Bayern tatsächlich treffen, zeigt ein Blick auf die regionale Verteilung der Krankmeldungen. Vor allem in Mitteldeutschland und im Nord-Osten verzeichnet der BKK-Dachverband mehr Krankentage aufgrund von Erkrankungen des Atmungssystems. In Bayern sind die Werte vergleichsweise niedrig.

Interaktive Karte: So viele Ausfalltage gibt es aufgrund von Erkrankungen des Atmungssystems

Klicken Sie auf einen Kreis, um mehr zu erfahren.

Wiebke Gritze, Ärztin in Starnberg, hat zumindest für Ihren Landkreis eine Erklärungsansatz: Starnberg habe eine ländliche Struktur. Dadurch seien weniger Menschen auf engem Raum zusammen, was zu weniger Ansteckungen bei Infektionskrankheiten führen kann.

Eine andere Ursache könnten die klimatischen Bedingungen sein. "Wir haben hier im Herbst und im Winter sehr schöne, sonnige Tage, wo man sich draußen aufhalten und Sport machen kann." Das sei eine wichtige Präventionsmaßnahme, um sich vor Infektionskrankheiten zu schützen. Außerdem beobachte sie in ihrer Praxis, dass es im Landkreis einige Menschen gibt, die ihren Arbeitsplatz flexibel gestalten können und bei einem leichten Infekt im Homeoffice bleiben können. "Das führt sicherlich bei uns dazu, dass wir die Patienten für eine kürzere Zeit krankschreiben. Die möchten dann zu Hause arbeiten, auch bei einer Infektionskrankheit."

Welle der Atemwegserkrankungen 2025 eher schwach

Bisher wartet Gritze noch auf die Grippewelle. Auch Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar in München, kann das bestätigen. "Auch vor der Pandemie gab es erhebliche saisonale Schwankungen." Nach einer schweren würde eine leichtere Welle folgen. So sei die aktuelle Atemwegs-Saison eher flacher. Mit der Influenzawelle rechne er allerdings erst Ende Dezember bis Anfang Januar.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!